Einfach ein gutes Leben
Mitglieder der Solidargemeinschaft, sodass alle letzten Endes von Erwerbsleistungen abhängen. Ein solches dicht geknüpftes Netz von Verteilungsflüssen vermag prinzipiell jeden gegen existenzielle Risiken zu sichern und ein lebenswertes Leben zu bescheren – solange es funktioniert. Eine Zeit lang funktionierte es gut, jetzt jedoch stößt das Arrangement auf ernsthafte Schwierigkeiten. Wie ernsthaft die Schwierigkeiten sind, sieht man daran, wie unzufrieden die Menschen geworden sind, viele haben nachgerade Angst. Existenzangst aber war genau das, was diese Gesellschaft nach und nach abschaffen wollte, als sie sich die Wirtschaftsordnung gegeben hat, die sie heute noch trägt.
Eine Arbeitsgesellschaft, die nicht in der Lage ist, ihr Versprechen einzulösen und Erwerbsarbeit so zu organisieren, dass ihre Bürger davon existieren können, ist absurd. Was den Bürgern übrig bleibt, ist das Unbehagen, die Ahnung, dass mit der Erwerbsarbeit an sich etwas nicht in Ordnung ist. Wenige kommen auf den Gedanken, sich ihre Existenzsicherung auf einem anderen Weg als über Erwerbsarbeit eigenständig zu organisieren. De facto orientieren sich Beschäftigungslose, prekär Beschäftigte sowie gesichert Beschäftigte fortgesetzt am alten Modell der Erwerbsarbeit, vermutlich weil sie keine Alternativen sehen. Tatsächlich fehlen bewährte Muster für nicht arbeitsgestützte Existenzsicherung. Die Muster, die wir schon einmal kannten (häusliche Selbstversorgung beispielsweise), sind vor nicht allzu langer Zeit aus der Mode gekommen. Aber das Experimentierfeld ist eröffnet und die ersten brauchbaren Resultate sind schon da. Einstweilen wäre es ein großer Fortschritt, wenn wir den Glücklichen Arbeitslosen oder Frauke Hehl folgten und uns von der Verabsolutierung der Arbeit als Allversorgerin und Seligmacherin verabschieden würden.
Cum dignitate otium
Die Art und Weise, wie wir Arbeit heute konzipieren, führt also zu Problemen. Wohin aber soll die Reise denn stattdessen gehen? Lohnt es sich, die Frage überhaupt zu stellen, wenn es doch offenbar keine umfassenden Vorstellungen einer Alternative gibt?
Eine Antwort fällt leichter, wenn man zunächst die umfassenden Entwürfe beiseitelässt und sich die Punkte ansieht, an denen Arbeit den Arbeitenden nicht hinreicht, an denen sie also im Sinne dessen, was ich in Kapitel 1 geschrieben habe, Risiken produziert. Über den Umweg kommt man am Ende schneller zu Ideen, wie Arbeit aussehen kann, damit sie in ihrem vollen Umfang zum guten Leben beiträgt. Tatsächlich bewegt das Thema so viele, dass eine ganze Reihe von Nischen entstanden ist, in denen die nach neuer Arbeit Suchenden ihre Bedürfnisse besser zur Geltung gebracht finden. Die Glücklichen Arbeitslosen haben einen Anfang gemacht, aber auch ohne Arbeit schlechthin abzulehnen, haben einige Initiativen ideenreich Wege beschritten zu einer neuen Auffassung von einem tätigen und glücklichen Dasein.
Einigen der Grundideen der glücklichen Arbeitslosen recht nah steht das Anliegen eines kleinen Vereins, der sich in Bremen gegründet hat. Auch ihm geht es um einen menschenangemessenen, an Zufriedenheit statt Effektivität orientierten Gebrauch der Zeit. Der Verein heißt »Otium«, was in der Regel mit »Muße« übersetzt wird, einem Begriff, der allerdings etwas in die Irre führen könnte. Wenn heute jemand sagt, er habe Muße, meint er, er habe eine Menge Zeit, die er auch gut mit Nichtstun »verschwenden« könnte. Otium aber meint keinen Leerlauf, erst recht keinen mit der defätistischen Konnotation »eigentlich hätte ich an dieser Stelle das und das tun können/müssen«. Mit Otium ist, so, wie der gleichnamige Verein die Sache begreift, die menschenwürdigste Daseinsform gemeint: ein Tun ohne die Erwägung eines Nutzens oder Ziels für das Tun. Muße wird damit von einem Schmähwort der Arbeitsgesellschaft für das untätige Treiben des verachteten und gleichzeitig beneideten Müßiggängers zu einem umfassenden Alternativkonzept. Muße,schreibt Erich Ribolits, ist ein »Verzicht auf die eigene Totalvermarktung«.
»Das Kultivieren von Muße im Sinne eines Gegenprojekts zur alles umfassenden Entfremdung beginnt mit dem Schaffen unverzweckter – ›nutzloser‹ – Freiräume, also von Lebensbereichen, die nicht verpfändet werden für (die Hoffnung auf) späteres Leben, die für sich selbst stehen und ihren Wert aus sich selbst schöpfen. Damit ist auch klargestellt, dass es sich bei der Muße weder um eine
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