Einfach ein gutes Leben
Gewissheiten.
Die Einkommen in der zweiten Arbeitswelt schwanken, sind nur zeitweise regelmäßig, zeitweise kommen sie en bloc, zeitweise gar nicht. Sie sind zudem vergleichsweise gering, manche reichen gerade zur Existenzsicherung, manche liegen unter dem Armutsniveau. Eine verlässliche, langfristige Existenzgrundlage sieht anders aus. Die Absicherung gegen Lebensrisiken schwächelt, weil die Systeme der sozialen Sicherung zu teuer sind und dem unsteten Lebensrhythmus der Multi- und Projektjobber nicht angemessen sind. So wird auf die Altersvorsorge eben verzichtet oder der Pflichtbeitrag zur Krankenkasse illegalerweise nicht bezahlt.
Berufsbiografien in der zweiten Arbeitswelt sind bunt. Es wird gebastelt, geflickt und durchgewurschtelt. Heute ist derBrotjob dran, morgen der eigentliche Beruf, für den ich ausgebildet bin, der aber kein Geld abwirft. Existenzen sind veränderlich und prekär. Was ich in zwei Jahren mache: Wer weiß.
In der zweiten Arbeitswelt finden sich bald auch diejenigen wieder, die die Kritik an der ersten berechtigt finden, die die moderne Auffassung von Arbeit ablehnen oder die andere Formen der Organisation von Arbeit für nötig erachten, die also ähnliche Motive haben wie die Otium-Mitglieder oder die Selbstverwalter. Sie fahren demnach in einem Boot mit denen, die lieber alles beim Alten lassen und einen Normaljob bevorzugen würden, aber dennoch keinen haben. Beide müssen gleichermaßen den Eindruck haben, dass ihnen die herkömmliche Arbeit den Rücken zukehrt und einfach ohne sie weiterläuft. Also wenden sie sich ebenfalls um und halten Ausschau nach Alternativen.
Es sind vor allem diejenigen, die gerade in das Berufsleben einsteigen, die mit der zweiten Arbeitswelt am härtesten konfrontiert sind und denen die Abkehr von der so erstrebenswert erscheinenden Zeit der selbstverständlichen Normaljobs schwerfällt. »Die jungen Erwachsenen von heute«, schreibt Claas Triebel in seinem Buch Mobil, flexibel, immer erreichbar – Wenn Freiheit zum Albtraum wird , »sind die erste Generation in der deutschen Nachkriegsgeschichte, der es vielleicht nicht besser gehen wird als ihren Eltern. Die vielleicht nicht einmal den Status quo wird halten können.« 84 Was bleibt ihnen als ein vorsichtiger, pragmatischer Optimismus? Gewissheiten gibt es ohnehin nicht mehr, also kann ich mir gleich eine neue Art von Arbeit schaffen.
Das Gefühl, irgendwie im falschen Film gelandet zu sein, kennen die hoch qualifizierten, jetzt zwischen 25 und 40 Jahre alten Multijobber, Berufswechslerinnen, Teilzeitkräfte und Brotjobber sehr gut. Sie haben viel in Bildung und Berufsausbildung investiert und dennoch ist kein Beruf daraus geworden. Oder nur einer für die nächsten sechs Monate. Die »Arbeitssammler« grübeln: Eigentlich haben sie doch alles richtig gemacht, sich gut qualifiziert, eher überqualifiziert, Bildungsjahre, Geld und Nerven verpulvert – und jetzt? Sie kommen sich etwas verschwendet vor. So viel Potenzial istda, so viel Spannendes, das man mit seinen Fähigkeiten tun könnte, und viel zu viel davon geht im alltäglichen Aufreiben unter. Jetzt haben die Arbeitssammlerinnen die Arbeit, vor der ihre Eltern sie immer gewarnt haben.
Viele von ihnen sind soloselbständig geworden, ein guter Teil hat aber noch ein oder mehrere Nebenbeschäftigungen. Christine 85 zum Beispiel gestaltet in ihrem Hauptberuf als Grafikdesignerin Firmenkataloge oder Online-Präsentationen. Daneben arbeitet sie (ebenfalls als Grafikerin) auf befristeten Teilzeitstellen für eine Rundfunkanstalt und fährt ein- oder zweimal jährlich als Reiseleiterin nach Italien. Eine Tätigkeit allein würde für ihren Lebensunterhalt nicht reichen, also muss sie eben drei gleichzeitig jonglieren, was bisher gut funktioniert. Sie ist sogar sehr zufrieden damit, dass sie für unterschiedliche Bereiche gleichsam kompetent ist, immer noch dazulernen kann und viel Abwechslung bei ihrer Arbeit hat.
Daniel ist freiberuflicher Coach und Berater, spezialisiert auf Erwerbslose. Die Freiberuflichkeit reicht ihm ohne zusätzliche Brotjobs, aber auch er wechselt seine Tätigkeitsfelder häufig. Zuerst hat er für einen Bildungsträger gearbeitet, zwischendurch mehrere Transfergesellschaften geführt, jetzt verlegt er sich stärker auf Einzelberatungen. Die Arbeitsorte ändern sich ständig, desgleichen die Zeiten. Dennoch gefällt ihm die freie Zeiteinteilung: Er kann das Handy mal abends um sechs ausschalten, mal erst um acht oder neun,
Weitere Kostenlose Bücher