Einfach ein gutes Leben
um noch für Klienten erreichbar zu sein, er selbst bestimmt aber, welches Angebot er den Kunden machen will. Die Zeitautonomie dehnt sich auch auf die Zeit aus, die nicht mit Arbeit verbracht werden soll. Auch Christine kennt Tage, an denen keine Aufträge drängen, »da stehe ich morgens auf und überlege, wo ich Kaffee trinke«.
Eine große Stärke der ansonsten so vielgestaltigen Lebensweise als Arbeitssammlerin ist die in vieler Hinsicht gegebene Möglichkeit, eigenständige Entscheidungen zu treffen, die weder von Chefs noch von Kolleginnen beeinflusst werden können. Die Zeitautonomie ist darin die eine Facette, die Anpassung des Einkommens nach den jeweiligen Bedürfnissen eine andere.
Guido wird als freier Mitarbeiter bei einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt gut bezahlt. Zudem kann er sein Gehalt durch frei gewählte Arbeitszeit selbst regulieren.
»Es ist bei mir so: Ich gucke auf das Konto, und wenn es da gut aussieht, dann nehme ich auch keine Aufträge mehr an und genieße lieber die freie Zeit, oder ich mache noch mehr, wenn ich mir etwas kaufen will oder ich in Urlaub fahre. Aber es ist nicht so, dass ich mich nach der Decke strecken muss.«
Auch über die Qualität der Arbeit können viele Arbeitssammler zu einem gewissen Maß selbst entscheiden. Sie ist natürlich dann umso größer, je mehr Sorgfalt, das heißt Zeit für sie verwendet wird. Arbeitssammler haben bisweilen sehr hohe Standards, und da die Selbständigen unter ihnen keine zweite Person überwacht, müssen sie ihr eigener Controller sein (eine der vielen Rollen, die sie gleichzeitig ausfüllen). Ohnehin müssen sie den Kontrolleur im Hinterkopf haben, da ihre Art zu arbeiten hohe Anforderungen an die Selbstdisziplin stellt. Qualität auf dem Niveau, wie die Arbeitssammler es sich wünschen, ist besonders dann schwer zu erreichen, wenn etwa der Auftraggeber Druck macht oder schon das nächste eigene Projekt vor der Tür steht. Der Konflikt zwischen zwei fundamentalen Eigeninteressen (gute Arbeit leisten wollen und ein Einkommen erwirtschaften müssen) ist vorprogrammiert.
Und natürlich sind die Arbeitssammlerinnen bis zu einer gewissen Grenze in der Entscheidung darüber autonom, mit welchen Leuten sie beruflichen Kontakt halten wollen. Die Grenze ist eine der Notwendigkeit: Für die Arbeitssammler ist ein Netzwerk von Kontakten in der Regel existenziell wichtig. Man informiert sich gegenseitig über wichtige Entwicklungen, mögliche Auftrag- und Arbeitgeber, schiebt sich bei Gelegenheit Aufträge zu. Darüber hinaus kann ein Netzwerk auch wichtig sein, um den Alltag zu bewältigen. Ist das Einkommen etwa nicht groß genug, um alles Nötige mit Geld zu bezahlen, springen Netzwerkmitglieder mit Gütern oder Diensten ein (ähnlich wie in einem Tauschring, wo der Netzmechanismus lediglich strukturierter ist). »Netzwerke von ExpertInnen des Alltags« nennt Frauke Hehl diese kooperativen Subsistenzgemeinschaften. 86
Bei so viel Chance zu autonomen Entscheidungen nimmt es nicht Wunder, dass die Arbeitssammler sich als sehr freiheitsorientiert beschreiben. Zwar brauchen sie genau wie alle anderen ein Mindestmaß an existenzieller Sicherheit. Das Maß, das sie in der Normalarbeit finden, reicht nicht mehr hin, deswegen suchen sie nach anderen Wegen der Sicherung. Die notwendige Sicherung pendeln sie jedoch stets aus mit dem Faktor Freiheit, den sie besonders schätzen. Arbeitssammlerinnen sind permanent mit dem Austarieren und Balancieren beschäftigt. Die totale Freiheit gibt es deshalb erwartungsgemäß nicht für sie. Gerade sie müssen viele Dinge parallel im Blick behalten, sind dauernd mit der Selbstorganisation beschäftigt. Arbeitssammeln ist nicht das Paradies. Aber es bietet viele Chancen auf eine Selbstbestimmung, die in der Festanstellung der ersten Arbeitswelt so nicht auftauchen wird.
»Die Fiktion der Vollbeschäftigungsgesellschaft entlastet die Zeitgenossen von einem Ausbruch aus ihrer biografischen Berufsfixiertheit«, schreibt der Soziologe Ulrich Beck. 87 Die Arbeitssammler brechen aus, sie glauben nicht länger an die Fiktion (wenn sich auch manche unter ihnen – in finsteren Stunden – in die erste Arbeitswelt zurückwünschen). Dass es immer weniger bezahlte Beschäftigung gibt, ist ein Problem, das in der Öffentlichkeit meistens noch nicht einmal bemerkt wird, auf das es jedenfalls keine erschöpfende Antwort in Form eines großen Wurfs gibt. Die Arbeitssammler finden Antworten im Kleinen, jeder für
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