Einfach ein gutes Leben
Entscheidungen als auch die ökonomische Forschung geprägt hat und bis heute prägt, gerät immer mehr in die Kritik. Es bildet nämlich allenfalls einen Ausschnitt aus dem ab, was an dieser Stelle »gutes Leben« betitelt wurde. »Wohlstand« wird nach dem Verständnis der herkömmlichen Wirtschaftspolitik und Ökonomik schlicht gleichgesetzt mit »Menge der umgesetzten Güter und Dienstleistungen«. Seine Maßeinheitist das Bruttoinlandsprodukt oder BIP (früher Bruttosozialprodukt, BSP). Nach dem BIP wird bis heute der Wohlstand von Nationen bestimmt, die Gesamtsumme der Wertschöpfung innerhalb eines geografischen Raumes damit zur »Summe des Glücks« seiner Bewohner umgedeutet, ganz so, als wollte man den Utilitarismus (siehe Kapitel 1) auf die Spitze treiben. Wenn wir in den Nachrichten hören, dass es uns wieder besser geht, dann ist das BIP wieder um einige Promille angewachsen.
Eigentlich müsste uns schon stutzig machen, was dabei gemessen wird: nicht das Gesamt gewicht alles Produzierten (das wäre bei den Dienstleistungen schwierig), natürlich auch nicht die schiere Anzahl der Produkte (dann würden uns Büroklammern und Papier zu reichen Leuten machen). Gemessen wird die Summe der Preise aller Güter und Dienstleistungen. Nun könnte man einwenden, dass dann ja eine Preiserhöhung von ein paar teuren oder vielen umgesetzten Produkten ausreichen würde, um das BIP in ungeahnte Höhen zu treiben. Das ist allerdings nicht so, da Inflationseffekte aus dem Bruttoinlandsprodukt herausgerechnet werden, man bezieht sich auf neutrale Vergleichspreise. Viel gewichtiger ist dagegen die Frage zu werten, wie Preise denn überhaupt entstehen und inwieweit dabei der tatsächliche Nutzen für die Wohlfahrt jedes Einzelnen eine Rolle spielt. Ist die Eric-Clapton-CD wirklich doppelt so viel wert wie die alte Langspielplatte, obwohl doch die gleiche Musik drauf ist? Wieso kann ein Flug nach London heute zehn Euro kosten, wenn ich vor ein paar Jahren bei der gleichen Airline leicht das 30-Fache bezahlt habe? Warum kostet der Bus aber nur 2,10 Euro, obwohl er mich sicher und trocken durch den Regen bis zu meiner Lieblingstante bringt, wo ich einen sehr netten Nachmittag verbringe, was ich nicht gekonnt hätte, hätte ich zu Fuß gehen müssen? Ein Blatt Papier wiegt in Cent gemessen fast nichts, obwohl doch immerhin einige Gramm Holz (ein kleines Stück Wald also), literweise Wasser, elektrischer Strom und Arbeitskraft in seine Herstellung geflossen sind. Woher also sein Preis?
Das deutsche BIP misst alles, was innerhalb Deutschlands auf dem Markt angeboten wird, einen Preis hat und demgemäß von jedem, der diesen Preis zu zahlen bereit und in derLage ist, erworben werden kann. Es sagt etwas darüber aus, was wir haben können, es sagt wenig darüber, wie gut es uns geht. Wenn deklariert wird, dass »der Lebensstandard sich verbessert hat«, das BIP also gewachsen ist, fällt das Easterlin-Paradoxon unter den Tisch, die Tatsache also, dass eben jenes BIP und das Maß der Zufriedenheit der Menschen immer weiter auseinanderklaffen (siehe Kapitel 1). Das hängt damit zusammen, dass Zufriedenheit und Lebensglück (also der »gefühlte Wohlstand«) von sehr viel mehr Faktoren abhängen als dem Euro-Wert alles Kaufbaren.
Ob ich mich in meinem Wohnumfeld – um einmal beim Thema »Lebensraum« zu bleiben – wohlfühle, hängt viel eher von meinen Nachbarn ab, von dem, was ich aus meinen Fenstern sehe, und davon, wie gut alle für mich wichtigen Geschäfte und Einrichtungen zu erreichen sind, als von den Preisen meiner Wohnung, dem Mobiliar oder der Infrastruktur. Auf die gesellschaftliche Ebene gehoben: Der Wohlstand einer größeren Gruppe von Menschen besteht unter anderem darin, wie gut ihre Beziehungen untereinander sind, ob ausreichend lebenswerte Orte für sie vorhanden sind und wie mühelos sie sich mit dem Lebensnotwendigen versorgen können. Diese Faktoren sind immerhin zum Teil quantifizierbar (anders als das Wohlgefühl oder der Frust einer Menge einzelner Individuen). Sie sind deshalb der ökonomischen Forschung einigermaßen zugänglich und lassen sich zu alternativen Wohlstandsindizes zusammenstellen, die in die Bresche springen, die das BIP so lange vakant gelassen hat. Der Ökonom Hans Diefenbacher und der Nachhaltigkeitsforscher Roland Zieschank haben einen solchen Index entwickelt. »Gesellschaftliche Wohlfahrt«, schreiben sie, »ist in markanten Teilen nicht abhängig von wirtschaftlichem Wachstum.
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