Einfach ein gutes Leben
eigene Grenze, ab der ihn zu viel Handlungsspielraum überfordern würde. Dauernde Überforderung aber ist der Weg fort vom guten Leben.
Dem Markt Grenzen setzen
Alle Akteure in diesem Buch distanzieren sich mehr oder weniger umfassend von der kapitalistischen Marktwirtschaft und »machen etwas anderes«. Zum Teil geschieht die Abgrenzung ganz prononciert. Ulrike Urban und Luzie von Arnim vom Tauschring »Zeitpunkt« wollen ganz bewusst, dass sich bei den Mitgliedern »etwas in den Köpfen verändert«. Tauschen im Ring ist für sie etwas, »das man gegen die normale Marktwirtschaft setzt«, in der sie die Lebensqualität, die sie jetzt haben, so nicht finden konnten. Ähnlich möchte auch Petra Nagler von der Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft Bremen einen Anstoß zum Umdenken geben: »Wir wollen schon eine Keimzelle sein für ein anderes Wirtschaften, für ein anderes Umgehen mit Lebensmitteln. Dazu gehört, dass es nicht darauf ankommt, immer alles billig zu kriegen, sondern gerade weil wir so reich sind, lieber in sinnvollen Strukturen zu leben.« Wohlstand im herkömmlichen Sinn, das ist bemerkenswert, setzt Nagler schon vom Grundgedanken her von einem »sinnvollen«, lebensgerechten Handeln ab.
Einige der Selbstorganisierer bringen eine sehr differenzierte Kritik an der kapitalistischen Marktwirtschaft vor, andere wollen punktuelle Veränderungen vor allem für sich selbst und reflektieren nicht explizit mit, welche Ursachen ihr Anliegen in der großen Ökonomie haben könnte. Alle aber äußern sich kritisch gegenüber der Wirtschaftsordnung, die sie in ihrem Land vorfinden, und wenn sie sich nicht mit Worten dagegen absetzen, so tun sie es mindestens mit ihrem Handeln. Wenn sie über die ökonomische Praxis in ihrer Stadt, ihrer Region oder über die ganze Volkswirtschaft entscheiden könnten, würden sie wohl einen guten Teil davon verändern.
Es ist kaum möglich, ihre sehr unterschiedlichen Motive, Hintergründe und Weltanschauungen zusammenzufassen und auf einen Begriff zu bringen. Gemeinsam ist ihnen allen jedoch die Suche nach besseren Lebensbedingungen außerhalb der herkömmlichen Muster in Wirtschaft, Arbeit und Biografie. Die implizite Kritik an der kapitalistischen Marktwirtschaft, die in dieser Haltung steckt, deckt sich interessanterweise mit den Ansichten kapitalismuskritischer Wissenschaftlerinnen und Wirtschaftspraktiker. In deren facettenreichen Denkansätzen spiegeln sich die grundlegenden Momente der Selbstorganisation wider, die wir an dieser Stelle kennengelernt haben.
Oft beunruhigt sie die als Allmacht empfundene Omnipräsenz ökonomischer Prinzipien: Wenn der Einzelhandel in den Innenstädten ausstirbt, wird das schnell als Auswirkung des Wachstums auf Effizienz getrimmter Verbrauchermarktketten gesehen. Die Universitäten sind seit der Bologna-Reform in den Ruf geraten, nur noch »für die Wirtschaft« auszubilden, statt jungen Menschen Bildung zu ermöglichen. Politiker werden als Erfüllungsgehilfen der Lobbygruppen gesehen (nicht erst seit der neuerlichen Atomausstiegsdebatte). »Jetzt ist die Wirtschaft die Maschine, nach der sich alles richtet«, sagt auch Maria Mies, »sie bestimmt, was gemacht wird: Sie bestimmt den Bildungsweg, die Pädagogik, die Philosophie.« Der Kulturwissenschaftler Nico Stehr sieht eine »Ausweitung des Marktregimes« auf Institutionen und Aktivitäten mit wichtigen öffentlichen Funktionen, die ihm vorher nicht unterlagen, etwa das Gesundheitssystem, das Erziehungswesen oder die Kirchen. Die Entgrenzung geht, so Stehr, mit einer Differenzierung der Märkte einher: Der Markt bläst sich auf. 162
Daran wäre weniger Schlechtes zu finden, wenn die Ausweitung des Marktprinzips die gesellschaftlichen Institutionen in ihrem Zweck unterstützen würde, den Bürgern individuell oder der Gesellschaft als Ganzes erweiterte Verwirklichungschancen zu bringen. Dass das nicht uneingeschränkt zutrifft, nehmen die Selbstorganisierer als Anlass ihrer Kritik (so zum Beispiel Niels Boeing, wenn er davon spricht, »nicht immer aufs Wirtschaftliche zu schauen«). Damit befinden sie sich in einflussreicher Gesellschaft. Sogar Finanztycoons wie George Soros disqualifizieren die Annahme, es sei per se gut, möglichst viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in der Form von Märkten einzurichten, inzwischen als »Marktfundamentalismus«. Abgesehen vom Ideologieverdacht liegen die Gründe für die Skepsis in der Einsicht, dass der Markt eben nicht allen Vorteile
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