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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdel Sellou
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schnarcht, die Fluchttreppe sitzt fest an der Fassade, es ist nichts zu machen. Ich gehe schlafen.
    Am nächsten Morgen zwinkere ich der Pastorin zu, als wir ihr im Flur begegnen. Sie plaudert munter drauflos:
    Â»Hallo! Stimmt es, dass Sie aus Frankreich kommen?«
    Dieses Geschöpf zählt sich zu Gottes Schäfchen. Sie hat Hunderte von solchen Seminaren hinter sich. Sie duzt die örtlichen Nonnen. Wenn sie sich traut, so laut zu sprechen, dann kennt sie vielleicht die Regeln, die wahren Regeln. Ich dachte, das Sprechen ist hier verboten?
    Â»Ja, ja, wir kommen aus Paris … Aber sagen Sie, wird das Schweigegebot hier streng gehandhabt?«
    Â»Ach was, setzen Sie sich heute Abend in der Kantine zu mir. Dann können wir uns besser kennenlernen.«

    So ist unser Flüstergrüppchen – Monsieur Pozzo, Laurence und ich – von drei auf vier angewachsen. Dann auf fünf, dann sieben Seminaristen. Dann auf zehn, fünfzehn und bis zur Wochenmitte sogar auf zwanzig! Wir flüsterten auch gar nicht mehr, und es wurde laut gelacht an unserem Tisch. Die Gesichter, auf denen ich bei unserer Ankunft am meisten Schmerz erkannt haben wollte, schienen plötzlich viel gelöster. Nur eine Gruppe von unverbesserlichen Depressiven spielte noch eine Extrawurst. Ich nannte sie die Genussverweigerer. Die Kapuzinerinnen, die keine großen Anstrengungen unternahmen, uns zum Schweigen zu bringen, lachten sich krumm und bucklig.
    Â»He, Mädels, ihr solltet euer Praktikum umtaufen.«
    Â»Wie denn, Abdel? Gefällt Ihnen etwa Liebestherapie nicht?«
    Â»Ich glaube, Humortherapie wäre viel erfolgversprechender.«

34
    Monsieur Pozzo hält regelmäßig einschläfernde Vorträge vor BWL -Studenten, und auch dahin begleite ich ihn. Er spricht über die »Brutalität der Kapitalisten«, von der »Versklavung der Lohnempfänger oder ihrer Ausgrenzung«, von »Finanzkrisen, angesichts deren die Staa­ten ohnmächtig sind und die darüber hinaus die Not der Arbeitnehmer noch vergrößern«. Er duzt die Masse der Studenten, die ihm zuhören, um jeden einzelnen von ihnen zu erreichen. Ich habe seinen Rollstuhl aufs Podest vor die zwanzigjährigen Milchbubis in Anzug und Krawatte gerollt und mich auf einen Stuhl danebengesetzt, den Kopf gegen die Wand gelehnt. Ich höre nicht zu. Er ist die reinste Schlaftablette, kein Wunder, dass ich einnicke. Aber von Zeit zu Zeit weckt mich ein prägnanter, mit etwas mehr Überzeugung vorgetragener Satz auf.
    Â»Nur du selbst kannst entscheiden, was unter Ethik zu verstehen ist, nur du allein bist für dein Handeln verantwortlich. In dir drin, in deinem Innersten, in der Stille, findest du das Andere und das Fundament deiner Moral.«
    Da, sage ich mir, weiß er, wovon er spricht. Von welcher Stille, von welchem Innersten. Von welchem Anderen. Ich bin ein Teil davon. Vor seinem Unfall, als er noch allmächtig war, als er im Pommery schwamm wie meine Mutter in Erdnussöl, hätte er mich da überhaupt eines Blickes gewürdigt? Wäre ich auf einer Party seiner unausstehlichen Göre aufgetaucht, hätte ich wahrscheinlich den Laptop mitgehen lassen. Wenn sie heute solche kleinen Rotznasen einlädt, übernehme ich den Sicherheitsdienst.
    Der große unbewegliche Weise, dessen Geist über seiner armseligen fleischlichen Hülle schwebt, dieses höhere Wesen, vom Fleisch und all seinen niederen Bedürfnissen befreit, setzt noch einen drauf:
    Â»Erst, wenn du das Andere erkannt hast, kannst du deine Meinung und dein Handeln in die Gesellschaft einbringen.«
    Glaubt er das im Ernst? Diese höheren Söhne, die er vor sich hat, haben doch schon jetzt nichts anderes im Sinn, als sich gegenseitig aufzufressen, und das unter Jahrgangskameraden! Dafür müssten sich sämtliche Großbosse erst mit dem Gleitschirm in Hackfleisch verwandeln, um »das Andere zu erkennen« und die Leute so zu respektieren, wie sie sind …
    Na gut, vielleicht müssten Typen wie ich auch aufhören, sich mit dem Asphaltspucken zufriedenzugeben … Wie Monsieur Pozzo sagt, muss man an die Wörter Solidarität, Seelenruhe, Brüderlichkeit und Respekt noch das Wort »Demut« anhängen. Ich verstehe sehr gut, aber ich, ich bin nun mal der Beste. Es ist geprüft, bewiesen und vom Boss zehnmal pro Tag bestätigt worden. Also wenn man mir mit Demut kommt … Ich

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