Einfach hin und weg
weiter Straße oder aber einen einige Kilometer längeren Weg durch die Landschaft. Ich hatte mir am Morgen nichts vorgenommen, rechne jetzt aber nach: bisher 23 km, bis zur nächsten Herberge, wo ich hoffentlich Unterkunft finde, sind es nochmals 14 Kilometer. Trotzdem nehme ich den Weg durch die Landschaft.
Nach 37 Kilometern komme ich in Villar de Mazarife an, mit platten Füßen. Die Sohlen brennen, der Rücken bricht auseinander und die Haut an den Hüften, auf denen der Rucksack lagert, ist wund gerieben. Auf den letzten Kilometern stelle ich mir bei circa 40° zum ersten Mal die Frage, warum ich das eigentlich mache. Da ist sie, die Frage, die sich jeder Pilger mindestens einmal während seiner Reise stellt. Ich finde keine Antwort.
Heute war die Strecke wirklich nicht schön, ich habe mir neue Blasen gelaufen, die Füße schmerzen beim Gehen und beim Liegen. Ich hätte ja vor oder hinter Léon, oder zu beiden Gelegenheiten den Bus nehmen können, wie es mehrere Leute getan haben. Aber das wollte ich nicht. Stolz oder Eigensinn.
Vielleicht habe ich auch Angst, die Hemmschwelle zu überschreiten. Wer einmal den Bus genommen hat, tut es meist auch ein zweites Mal
Irgendwie möchte ich den Camino komplett gehen, zu Fuß, obwohl der Heilige Jakobus bestimmt ein Auge zudrücken würde.
Schließlich muss man als Pilger nur die letzten 100 Kilometer bis Santiago laufen, um anerkannt zu werden und die Absolution zu erreichen. Die werde ich ja wohl schaffen, auch wenn ich heute gar nicht daran denken mag.
Die Freunde aus Deutschland senden SMS und Durchhalteparolen. Das macht Mut. Hanni und Ludger, Isabel und Familie, Franz und Susanne, Gitta mit Glenn und Joshua, Heide, Horst und Win, Pierrette und Ruud, Helga und Pia, Jan, Liliane und Axel und natürlich Brigitte. Zu Hause fragen viele nach mir und bestellen Grüße. Das baut auf.
Ich werde heute Abend zum Heiligen Morpheus beten, dass er mich gut schlafen lässt.
09.06.2007 Villar de Mazarife - Hospital de Órbigo - Astorga
Gestern Abend hatte der Chef der Herberge ein Menu für alle gekocht. Als Hauptgang eine Paella. Die erste, die ich in Spanien esse. Dazu zwei Gläser Rotwein. Ein köstlich Mahl!
Obwohl 40 Personen im Schlafsaal, schlaf ich schon um kurz nach 9 Uhr.
Der Heilige Morpheus hatte mich erhört und mir einige Stunden guten Schlaf geschenkt. Ohne Zugabe von irgendwelchen Mitteln. Ich werde erst um viertel vor sieben wach. Da sind die meisten schon ausgeflogen. Ich habe tatsächlich nichts gehört. Mit einem Butterbrot und einem Apfel in der Hand ziehe ich eine halbe Stunde später ebenfalls los.
Vor 12 Stunden habe ich gedacht, der Tag wäre der absolute Höhepunkt gewesen, was Belastbarkeit angeht. Gott sei Dank wusste ich da noch nicht, was mich heute erwartete....
Ich danke den Textern und Komponisten von Schlagern und Volksliedern und den Dichtern schöner Lyrik, dass sie mich heute auf dem Weg begleitet haben. Ich singe was das Zeug hält, um mich abzulenken, egal ob Leute vor oder hinter mir gehen.
Beim Singen der Schlager bemerke ich, dass meist nur der Text der Refrains noch im Kopf ist. Wo der komplette Text fehlt, wird schnell einer erfunden oder es hilft ein Tralalalala weiter.
Es geht querbeet von dem guten alten Schlager vom Zug nach nirgendwo über Mendocino und Guantanamera, zu Besuch zu Alice, zum Mädchen Carina und zum Ännchen von Tharau. Nicht zu vergessen die Rosemarie, siiieeeeben Jahre mein Herz nach ihr schrie. Ich besinge die Loreley, den Knaben, der ein Röslein stehen sah und seine Schwester, das Heideröslein und denke, dass einmal ein Wunnderr geschehen wird und Liebe keine Sünde sein kann. Ich gehe nachts um halb eins auf die Reeperbahn und nehme den Kapitän mit auf die Reise. Die bekannten Songs der 60er und 70er müssen herhalten, ob von Joan Baez oder Bob Dylan, Reinhard May oder Hannes Wader. Mit Hermann Hesse gehe ich über Stufen und im Nebel, mit Fontane besuche ich Herrn Ribbeck im Havelland. Goethes Mignon verleiht mir Flügel. Alle müssen sie herhalten.
Irgendwann bleibt eine junge Frau stehen und wartet auf mich. Sie macht mir höfliche Komplimente ob meiner Sangeskunst und behauptet doch allen Ernstes, ich hätte ihr die letzte halbe Stunde sehr leicht gemacht durch meine Lieder. Sie ging 200 m vor mir. Hätte wirklich nicht gedacht, dass der Wind meine Lieder so weit erzählt....
Wir laufen mehr als eine Stunde zusammen. Sie heißt Bridget, ist Amerikanerin und auch seit
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