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Einfach hin und weg

Einfach hin und weg

Titel: Einfach hin und weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Jansen
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Anwesenheit. Danke!
    Gott sei Dank bin ich nicht alleine.
     

10.06.2007 Astorga – Santa Catalina – Rabanal del Camino
     
    Liebes Tagebuch, eigentlich wollte ich heute gar nicht schreiben, eigentlich wollte ich heute gar nicht wandern. Aber es ist ein Wunder, wie schnell der Körper sich von Strapazen erholt und die Füße inklusive Blasen sich morgens an die Schuhe gewöhnen und sich fast von alleine bewegen. Ganz so einfach wie beschrieben ist es zwar nicht, aber mit zusammengebissenen Zähnen geht alles.
    Liebes Tagebuch, frag mich also nicht, wie ich es geschafft habe, aber ich bin in Rabanal del Camino angekommen. Nach 20 Kilometern Marsch am Stück, ohne Pause.
    Geholfen hat mir ein Mitpilger aus dem Schwabenländle, der mich singen hörte und laut mit einstimmte. Volkslieder von A - Z. Er kannte sämtliche Strophen und zweistimmig war es noch schöner.
    Ja, meine Füße. Ich habe sie so gepflegt und jetzt, nach fast dreiwöchiger Reise, fangen sie an zu rebellieren. Dabei habe ich nichts verändert: die gleichen Schuhe, die gleichen Strümpfe, die gleichen Einlagen, die gleiche Creme. Trotzdem. Es hilft alles nichts. Aber es erwischt jeden, auch jetzt nach über der Hälfte der Distanz. Knie- oder Achillessehnenbeschwerden, Gelenkschmerzen in der Hüfte oder Muskelverspannungen, jeder kriegt sein Fett weg. Es gibt kaum jemanden, der nicht leidet. Der eine mehr, der andere weniger.
    Die Herberge in Rabanal wird zur Zeit von drei Engländern und einer Deutschen ehrenamtlich geleitet und ist ein kleines Juwel. Offener Kamin in der Bibliothek, eine große, voll ausgestattete Küche und ein riesengroßer Garten mit mehreren Sitzecken.
    Als ich dort ankomme, ist sie noch nicht geöffnet und es warten mehr als 40 Pilger auf ihr Bett. In einer Ecke sehe ich Bridget und eine andere Frau, die sich als Alice aus Irland vorstellt. Ich setze mich zu ihnen und wir vertreiben uns ein wenig die Zeit. Punkt 4 Uhr wird die Türe aufgeschlossen und in Scharen strömt das Volk in die heiligen Herbergshallen. Wir drei wollen warten, bis das große Gedränge vorbei ist und lassen uns fast eine Stunde später in die Liste eintragen. Alle, die vorher gekommen sind, schlafen in einem großen Saal, in dem gerade das letzte Bett vergeben worden ist. Die nächsten, und das sind wir, bekommen ein Zimmer im Altbau, einem massiven Steinhaus mit 5 Betten. Minuten später tauchen noch zwei Spanier auf und das Zimmer ist komplett.
    Die beiden Spanier, Manel und Javier, sind Brüder und wir sollten alle fünfe zusammen noch eine Menge Spaß haben. Es ist nicht immer so, dass den Letzten das Leben bestraft. Manchmal wird Warten auch belohnt!
    Beim Einschreiben hatte mich eine der englischen Helferinnen gefragt, ob ich heute Abend in der Kirche die Messe mitgestalten wolle. Sie würde von den Benediktinermönchen aus dem benachbarten Kloster zelebriert, die Pilger aus verschiedenen Ländern bitten, in ihrer Landessprache Bibelverse zu rezitieren. Ich habe zugesagt und bin gespannt. Um 7 Uhr soll die Vorbesprechung sein.
    Dann kommt Brigittes SMS. Lisa ist gestorben. Lisa unser Katzenkind. Vorgestern noch hatte ich frischen Gouda gekauft und an sie gedacht, was sie jetzt wohl alles anstellen würde, nur um an ein Stückchen ihres Lieblingskäses zu kommen. Ich hab nie widerstehen können und ihr immer ein Eckchen abgegeben, natürlich auch am Frühstückstisch. Das ist alles Vergangenheit. Brigitte war bei ihr als sie einschlief und vergießt jetzt sicher ein paar Tränchen.
    Mein Herz ist ganz traurig. Ich vermisse eine mir vertraute, tröstende Hand.
    Eine Stunde nach Erhalt der Nachricht von Brigitte verdunkelt sich der Himmel. Schwarze Wolken ziehen auf und es fängt an zu regnen. Ich bleibe gespannt stehen und weiß im voraus, was in den nächsten Minuten geschehen wird: es bildet sich ein formvollendeter Regenbogen von unglaublicher Schönheit. Und dann sehe ich im Geiste unsere Lisa, wie sie da auf ihren weichen Pfötchen hoch marschiert, in der Mitte des Bogens noch einmal herunterschaut und in der Tür zum Katzenhimmel verschwindet. „Buen Camino“, mein Kätzchen.
    Die Messe findet abends um 8 Uhr in der Dorfkirche statt. Etwa 50 Pilger haben den Weg hierher gefunden und es ist beeindruckend. Die drei jungen Mönche singen eine fast halbstündige Liturgie und dann ist die Reihe an uns. Alice in Englisch, Manel in Spanisch, Françoise in Französisch, jemand in Italienisch und ich in Deutsch. Da stehe ich also vorne in einer

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