Einfach losfahren
können. In diesen Tagen war es zu vielen absurden Situationen gekommen: Wäre Federico noch am Leben gewesen, er hätte mitgelacht, am lautesten von allen. Verrückt, wie viel es auf einer Beerdigung zu lachen gibt. Wie viel Absurdes einem in einem solch traurigen Moment auffällt.
Bei der Beerdigung meines Großvaters war bei der Grabnische gepfuscht worden, so dass der Sarg auf halber Strecke stecken blieb. Da hing er nun und ließ sich nicht mehr vor und zurück bewegen. Der Friedhofmaurer wurde gerufen, und bis er kam, durften wir das surreale Bild des Sarges betrachten, der vier Meter über dem Boden halb herausragte.
Auf jeder Beerdigung gibt es etwas zu lachen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass die Situation so grotesk ist, oder ob man schlicht lachen muss, um zu überleben. Vielleicht muss man nach den Tagen der Anspannung und Bedrückung einfach mal loslachen, um sich Luft zu machen, die Lungen zu weiten. Schwer zu glauben, ich weiß, aber das passiert.
Wenn ich an Federico, an seinen Charakter, an sein Wesen dachte, kam es mir fast albern vor, es nicht zu tun. Ihm hätte es bestimmt gefallen, mich bei seiner Beerdigung lachen zu sehen.
Mit der Zeit wichen diese Gedanken anderen, neuen. Zum Beispiel überlegte ich, dass ich älter werden und sich mein Äußeres verändern würde, während er immer so bleiben würde wie auf dem Foto, das bei mir zu Hause hing.
Wie oft habe ich gedacht, dass ich mich jetzt, wo ich älter bin, gern mit ihm unterhalten und über das Leben philosophieren würde. Ein Bier trinken. Entdecken, wer zuerst graues Haar bekam. Es wäre schön gewesen, noch einmal irgendwohin zu fahren, vielleicht mit unseren Familien. Die Dinge, die noch hätten kommen können, waren viel zahlreicher als die Dinge, die wir unternommen hatten, die wirklich passiert waren. Dafür gab es einfach zu viele Erfahrungen, die Federico noch hätte machen müssen, die wir noch hätten machen müssen.
Warum nur? Warum?
Auf diese Frage gibt es keine Antwort, und wer das nicht beizeiten einsieht, der kann verrückt werden.
Was geschehen war, war unwiderruflich, unabänderlich. Ändern konnte man nur die Frage. Ich durfte mich nicht länger nach dem Warum fragen, ich musste anfangen, mich zu fragen, wie ich all diesen Schmerz in etwas Konstruktives umwandeln konnte. Dem Schmerz ein Ventil schaffen und ihn umwandeln.
Wenn das Lächeln zurückkommt, befürchtet man fast, die anderen sähen nicht, wie tief der Schmerz in Wirklichkeit sitzt.
Vielleicht stimmt es ja, dass ein Mensch, der stirbt, in uns weiterlebt: Man muss ihn im Innern aufnehmen und sich regelrecht dazu zwingen, ihm das glücklichste Leben zu schenken, das möglich ist. Wenn ich heute an Federico denke, wird der Schmerz immer von einem Lächeln begleitet, jenem Lächeln, das er stets im Gesicht trug.
Es sind fast drei Jahre seit seinem Tod vergangen, und all der Schmerz hat sich in eine gewaltige Kraft verwandelt. Er wird für immer mein bester Freund bleiben: An unserer Freundschaft hat sich nichts geändert, sie ist nur verwandelt.
»Verlass mich nicht, Federico. Verlass mich niemals«, hatte ich ihn in den ersten Tagen nach seinem Tod angefleht.
Er hat mich nie verlassen.
Die Kette für Sophie
Francesca erträgt es nicht, wenn man ihren Bauchnabel berührt. Ich weiß nicht, warum, sie weiß es selbst nicht. Vielleicht müssen sie ihn ja anfassen, als letztes Mittel, damit sie gebärt. Ich berührte ihn, gleich als wir uns das erste Mal liebten. Da machte sie einen Satz, als hätte ich sie mit einer Nadel gepikt.
»Tut mir leid, aber ich kann’s nicht ausstehen, wenn man meinen Nabel berührt.«
»Das wusste ich nicht.«
»Ich weiß nicht, warum, es ist die einzige Stelle an meinem Körper. Ich bin gar nicht kitzlig, aber der Nabel ist eine komische Stelle.«
»Dann hättest du mal Adam oder Eva sein sollen.«
»Wieso?«
»Weil die beiden noch keinen Nabel hatten.«
»Und wieso nicht?«
»Na, weil sie nicht geboren wurden, sie hatten keinen Bauchnabel und eine Kindheit auch nicht.«
»Darüber habe ich nie nachgedacht. Stimmt eigentlich, aber komisch ist es schon, weniger wegen des Nabels als wegen der Kindheit. Adam und Eva waren nie Kinder… sie haben nichts geerbt.«
»Nur vererbt!«
Nach den Ereignissen dieser Zeit, nach Federicos Tod, war ich völlig verzweifelt. Ich hatte nicht gedacht, dass es im Leben so kalt sein könnte. In jenen Tagen habe ich es erfahren. Ich hatte das Bedürfnis nach Wärme, ich brauchte
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