Einfach losfahren
etwas Warmes für meine Seele.
Wie ein Verhungernder lauschte ich auf das Schlagen meines Herzens. Gleich einem Gespenst bettelte ich um ein Stückchen vom wirklichen Leben. Ich wollte dieser Situation entfliehen, wollte ein Fenster finden, durch das ich einen Streifen vom Blau des Himmels sah. Ich redete mit Federico, redete mit Gott. Ich flehte die beiden an, mir zu antworten, mir eine Erklärung zu geben. Ich hatte das Bedürfnis nach Schutz, einer Umarmung, ich wollte, dass jemand mich so fest drückte, dass ich mich in ihm verlor.
Ich besuchte meine Familie. Jeden Tag aß ich bei meinem Vater und meiner Schwester und hoffte, dort ein bisschen Wärme und Schutz zu finden, das Gefühl, zu jemandem zu gehören. Ich musste einsehen, dass eine Familie nicht Vater, Mutter, Geschwister ist, sondern das Gefühl, das uns verbindet. Ich hatte mit den beiden schon lange nichts mehr gemeinsam und wusste das eigentlich auch, aber insgeheim hatte ich trotzdem darauf gehofft.
Mein Vater besaß eine Autowerkstatt, und meine Schwester erledigte für ihn die Buchhaltung: Kasse, Lieferscheine, Rechnungen.
Je öfter ich sie sah, desto bewusster wurde mir, dass bei ihnen auch kein Platz für mich war. Außerdem war ich ja schon vor vielen Jahren ausgezogen.
Eines Abends besuchte ich sie wieder einmal. Während meine Schwester Abendessen machte und mein Vater auf dem Sofa saß und fernsah, ging ich in das Zimmer, in dem ich als Junge geschlafen hatte.
Inzwischen wurde es als Abstellkammer und Bügelzimmer genutzt, aber alles andere war wie früher. An den Wänden hingen noch die Fotos von meiner Kommunion, dem Familienurlaub am Meer und von mir als Jugendlichem mit Federico und anderen Freunden. Über dem Bett das Poster von Bruce Lee, das, auf dem er die Kratzer auf der Brust hat.
Auf dem Bett lag die gefaltete und gebügelte Wäsche. Ich räumte sie beiseite und legte mich hin.
Kaum sah ich das Zimmer aus dieser Position, wurde ich in eine ferne Welt eingesogen, der ich einmal angehört hatte. An den Wänden des kleinen Zimmers klebte eine Blümchentapete. Das Bett stand an der Wand. Etwa auf Höhe des Kissens stießen zwei Tapetenbahnen aneinander, und ich hatte an einer Stelle den Kleister gelöst. Abends hatte ich mit dem Finger immer daran gepult. Es hatte mir beim Nachdenken geholfen. Dieses Stück Tapete barg zahllose Beichten und große Geheimnisse. Ein Komplize, wie man ihn nur erträumen kann.
Jetzt ließ ich meinen Finger wieder darüberlaufen.
Überall in der Wohnung gibt es solche winzig kleinen Stellen, die derartige Gefühle in mir auslösen. Im Bad zum Beispiel hängt neben dem Klo der Heizkörper, und zwischen der dritten und vierten Rippe von rechts befindet sich ein getrockneter Lacktropfen. Und in der Farbe entdeckte ich das hauchdünne Haar des Pinsels. All die Jahre habe ich versucht, den Tropfen mit dem Fingernagel wegzukratzen, aber vergeblich, und so hängt er noch immer da. Ich habe meiner Familie nie von dem Tropfen erzählt, aber ich wüsste zu gern, ob sie ihn je bemerkt haben. Ich habe ihn ins Herz geschlossen und betrachte ihn noch heute, wenn ich dort auf Toilette gehe.
Diese Unvollkommenheiten, diese Defekte und Fehler habe ich tief in meinem Innern adoptiert, sie machen mir diesen Ort vertraut.
Wie der Aufkleber, den ich einmal in der Packung mit den Käseecken fand und bei Oma in der Küche an die Wand pappte. Er blieb dort über Jahre, und wenn ich sie besuchte, sogar noch, als ich älter war und schon allein lebte, suchte mein Blick stets danach. Ohne diesen Aufkleber wäre die Küche für mich etwas anderes gewesen.
Ich legte mich also auf mein Kinderbett und schloss die Augen. Erinnerungen aus der Zeit, als ich noch dort lebte, kamen mir in den Sinn. Die Gründe, weshalb ich von diesem Bett fliehen wollte, um woanders zu leben.
Solange ich klein war, hatte ich ein mehr oder weniger normales Verhältnis zu meiner Familie, also zu Vater und Schwester. Erst als ich heranwuchs, ging etwas kaputt. Nachdem meine Mutter in den Himmel gefahren war.
Eine der schönsten Erinnerungen aus der Zeit, als meine Mutter noch lebte, ist mein lachender Vater. Wie viele Jahre das her ist. Wann habe ich meinen Vater zum letzten Mal lachen sehen?
Wenn er von der Arbeit nach Hause kam, wartete ich schon und wollte spielen, aber oft war er zu müde und kam nur selten in mein Zimmer. Dabei hätte mir das allein schon genügt. Ich verlangte nicht, dass er in Höchstform war, ja selbst wenn er völlig
Weitere Kostenlose Bücher