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Einfach losfahren

Einfach losfahren

Titel: Einfach losfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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Kindes, ein Uni-Examen, eine Begegnung, ein Job, die Hochzeit.
    An jenem 10.   April stand ich auf und fuhr wie immer zur Arbeit. Ich sollte einen Artikel über die angesagtesten Diäten und über die schädlichen Folgen und Risiken schreiben, die manche haben. Im Sinne von: es über die Ostertage mit Fasten oder Fressen nicht übertreiben und so. Interessant, was?
    Kaum hatte ich mich im Büro an den Schreibtisch gesetzt, fiel mir die Tasse mit den Stiften hin und ging zu Bruch. Die Tasse mit den Beatles drauf, die ich auf einer Reise mit Federico nach London gekauft hatte. Ich warf die Scherben in den Papierkorb. Abgesehen von diesem Missgeschick verlief der Bürotag wie immer. Ohne es zu wissen, war ich an diesem Morgen so fröhlich wie ein Kind, das am 6.   August 1945 in Hiroshima Ball spielt – ein paar Minuten bevor die Amerikaner die Atombombe abwerfen.
    Während ich an meinem Diät-Artikel schrieb, klingelte das Handy. Es war Federicos Vater. In letzter Zeit hatte er oft, wenn er ihn sprechen wollte, mich angerufen. Deshalb dachte ich, er wolle wissen, wo Fede steckte.
    »Hallo, Giuseppe, wie geht’s? Falls du Federico suchst, der ist nicht hier.«
    Giuseppe schluchzte und konnte nicht sprechen, er sagte nur: »Federico, Federico, Federico…«
    »Was ist los, Giuseppe, warum weinst du? Was ist mit Federico? Was ist passiert?«
    Er schluchzte und schluchzte und brachte keinen Satz zu Ende. Es brach mir das Herz. Ich hatte ihn noch nie weinen hören.
    »Federico hatte einen Unfall mit dem Motorrad…«
    »O Gott… Ist er verletzt?«
    »Sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht…«
    »Ist es schlimm?«
    »Es war schon im Krankenwagen zu spät.«
    »Wie, zu spät? Was soll das heißen? Was soll das heißen: ›zu spät‹?«
    »Ach Gott, Michele, das kann doch alles nicht wahr sein. Federico… Federico hat es nicht geschafft.«
    »Wie, ›er hat es nicht geschafft‹? Was meinst du damit? Ich verstehe nicht…«
    Aber ich hatte nur zu gut verstanden.
    »Komm her, wir sind im Krankenhaus.«
    Noch bevor ich »Bin sofort da« sagen konnte, hatte er aufgelegt. Was war in diesen fünfzehn Sekunden geschehen?
    Ich raste ins Krankenhaus. Als ich ankam, lag mein bester Freund bereits in der Leichenhalle.
    Ich durfte ihn nicht gleich sehen, ich musste warten. Erst nach einer Stunde durfte ich rein. Federico lag ein paar Meter entfernt, es sah aus, als würde er schlafen.
    Tausend wirre Gedanken. »Sagt, dass ihr einen Witz macht, und ich schwöre, ich werde nicht sauer sein, aber macht das nicht mit mir, bitte, hört sofort auf, mich zu veräppeln. Komm, Fede, steh auf und lache, lass den Scheiß, am Ende denke ich noch, das ist kein Witz und alles ist wahr.«
    Neben der Bahre stand seine Mutter, ihre Augen waren rot und verquollen. Sie hatte kurz aufgehört zu weinen, doch als sie mich sah, begann sie von neuem.
    Es war kein Witz: In einem einzigen Augenblick hatte sich das Leben in all seiner Grausamkeit gezeigt. Zu viel für uns. Ich drückte Federicos Mutter fest an mich und sagte nichts. Was hätte ich auch sagen sollen? Was kann man zu einer Mutter sagen, die ihren Sohn verloren hat?
    Ich drehte mich um, hinter mir stand Giuseppe. Es war entsetzlich, ihn weinen zu sehen. Ich umarmte auch ihn.
    »Warum, Michele? Warum ist das passiert, warum uns, womit haben wir das verdient, was haben wir Böses getan? Sag, was? Hätte es nicht mir passieren können? Das wäre besser gewesen. Das ist nicht fair. Er war doch erst dreiunddreißig…«
    Mir wurde schwindelig. Ich ging nach draußen, an die frische Luft, ich musste raus aus diesem Raum. Ich hatte noch keine einzige Träne vergossen. Ich konnte einfach nicht weinen und hasste mich dafür. Ich hasste mich, weil ich wenigstens ein bisschen von dem Schmerz rauslassen wollte, aber ich schaffte es nicht. Ich war wie betäubt. Es ging mir schlecht, aber eigentlich war es eher so, als hätte man mir einen Liter Anästhetikum gespritzt. Ich war wie benebelt. Federicos Tod hatte meine Sinne gelähmt, ich konnte nicht weinen und ließ mich auch nicht von den anderen anstecken, die weinten.
    Später kam auch Francesca. Als sie mich sah, stürzte sie auf mich zu und umarmte mich. Sie trug eine Sonnenbrille, und hinter den Brillenrändern sah man, dass die Haut gerötet und tränennass war. Sie weinte und schluchzte wie ein Kind. In der Hand hielt sie ein Papiertaschentuch, das mittlerweile zu einem nassen Knäuel geworden war. Bis fünf blieben wir da, dann wurde er

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