Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einfach losfahren

Einfach losfahren

Titel: Einfach losfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
Vom Netzwerk:
größter Wunsch sei, würde sie hundertprozentig antworten: unseren Vater glücklich zu sehen. Ihn mit heiterem Gemüt altern zu sehen, als Herr über sein Leben. Sie betet unseren Vater an. Sie liebt ihn, wie die Blumen die Sonne lieben. Das hatte auch für mich gegolten, nur dass ich irgendwann fortging und versuchte, mich aus dieser Bindung zu lösen, die immer krankhafter wurde.
    Ich habe die beiden verlassen. Ich wollte sie nicht mehr ständig vor Augen haben, in meiner Schwester nicht die arme Sau sehen und in meinem Vater keinen Unglücksraben. Ich bemitleidete ihn. Er konnte mir nicht mal bei den Hausaufgaben helfen. Sein Finger mit dem schwarzen Ölrand unterm Nagel fuhr über die weiße Seite meines Hausaufgabenhefts, ohne dass ihn das auf die Lösung brachte.
    Ständig vergaß er, den Waschmaschinenschlauch in die Badewanne zu hängen, so dass die Wohnung unzählige Male überflutet wurde.
    Wenn er von der Arbeit heimkam, schloss er sich stundenlang im Bad ein, um sich zu säubern; wenn ich Pipi musste und klopfte und ihm sagte, er solle sich beeilen, beschwerte er sich. Abend für Abend verließ er das Bad ordentlich gekämmt, frisch geduscht und stets in demselben Schlafanzug und diesen grauenhaften Schlappen, in denen er einfach nicht leise gehen konnte. Ich saß am Tisch und hörte seine Schritte, und wenn er dann zum Abendessen in die Küche kam, hätte ich ihm manchmal am liebsten den Teller ins Gesicht gepfeffert. Ihm und meiner Schwester, bei der ich immer erst als Zweiter mit dem Essen drankam. Nachdem sie ihm geschöpft hatte.
    Je älter ich wurde, desto mehr hasste ich es, abends nach Hause zurückzumüssen. Deshalb saß ich, so lange es ging, zusammen mit meinen Freunden draußen auf der Bank und versuchte, sie dazu zu bewegen, so lange wie möglich mit mir auszuharren. Wenn ich unser Haus betrat, empfing mich der Geruch nach Minestrone und Broccoli, und ich hätte kotzen können. Ich wusste nicht, wen ich für dieses Leben, das mir nicht gefiel, verantwortlich machen konnte, und schließlich gab ich alle Schuld meinem Vater, weil er am meisten falsch machte und es daher das Einfachste war.
    Und so ging ich, wenn ich konnte, immer zu Federico: weil es bei ihm zu Hause schöner war, weil sein Vater mehr Vater war, weil er eine Mutter hatte und sogar einen Commodore C 64. Abende lang bei ihm zu Hause im Schlafanzug Computer spielen, das war für mich das Paradies.
    Schwierig war das Verhältnis zu meinem Vater auch deshalb, weil ich mich bei ihm nie mal beklagen konnte. Wie soll man aufwachsen und groß werden, wenn man sich nicht beklagen darf? Irgendwann kam bei jeder Diskussion von ihm der Satz: »Ich habe es euch nie an etwas fehlen lassen, jeden Tag lege ich mich krumm.«
    Was konnte ich darauf noch antworten?
    Mit diesen Worten gab er mir ständig zu verstehen, dass an seinem Unglück, seiner Mühsal und all seinen Opfern wir schuld waren, meine Schwester und ich. Als führte er sein trauriges, beschwerliches Leben nur uns zuliebe.
    Deshalb haben wir uns stets schuldig gefühlt. Und Maddalena ist immer noch da, an der Seite meines Vaters, und versucht, ihre Schuld zu begleichen. Ich hingegen bin gegangen, weil ich die moralischen Erpressungen nicht aushielt, die sich hinter den Worten Dankbarkeit, Respekt und Opfer verbargen.
    Die Beziehung zu meinem Vater hatte in mir die Vorstellung entstehen lassen, meine Liebe sei machtlos, steril und praktisch sinnlos, denn was immer ich auch für ihn tat oder tun könnte, es war nicht genug, um ihn aus seinem Unglück zu reißen.
    Es war nicht schwer, mit ihm in Streit zu geraten, denn in Wirklichkeit sind wir nie besonders vertraut miteinander gewesen, auch nicht, als ich klein war.
    Mein Vater war einfach ein Mensch, dem Zärtlichkeit fremd war.
    Dass ich wegwollte und schließlich gegangen bin, lag auch an seinem Wesen, das ihn immer daran gehindert hat, sich mal einen Augenblick Ruhe zu gönnen. Und das vor allem dazu geführt hat, dass er heute vom Leben und von der Arbeit zerstört ist und jeden Glauben verloren hat. Gegen alles, für ganz wenig.
    Mein Vater war nämlich stets auch der Herr »Pessimismus und Ärger«. Oder, anders ausgedrückt: »Es gibt immer Grund zur Besorgnis!« Ein extremer präkatastrophaler Pessimismus.
    »Papa, ich fahre ein bisschen Rad…«
    »Pass auf, dass du nicht überfahren wirst!«
    »Papa, ich fahre übers Wochenende in die Berge…«
    »Die Berge sind ganz schön gefährlich, erst letzte Woche sind zwei Leute

Weitere Kostenlose Bücher