Einfach losfahren
verloren, ich war nicht in der Lage, eine Liebesbeziehung zu führen, und wusste auch nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, auf der Bank hatte ich dreihundert Euro, und ich war gerade entlassen worden… nicht übel, was?
Und doch ging es mir seltsamerweise gut. Zumindest in diesem Augenblick.
Ich brachte das Auto in die Werkstatt meines Vaters und sagte ihm, er könne es verkaufen, falls er einen Interessenten finde. Deshalb räumte ich alles Gerümpel aus, und als ich den Kofferraum öffnete, machte ich einen bewegenden Fund, der dort schon lange auf mich gewartet hatte: Fedes blauer Pullover – ich trage ihn in diesem Augenblick um die Hüfte gebunden. Es war wie mit der Tasse und der Postkarte. Ich schnüffelte daran in der Hoffnung, sein Geruch möge noch daran haften. Und tatsächlich! Was hätte ich darum gegeben, diesen Geruch für immer konservieren zu können! Der Geruch eines Menschen ist so viel wert wie tausend Fotos. Doch wie der Schmerz würde auch der Geruch nach und nach vergehen. Wie oft trage ich diesen Pullover! Er beschützt mich mehr als alles andere. Obwohl die Ärmel ein bisschen kurz sind.
Ich weiß immer noch nicht, ob Pullover beim Waschen eher ausleiern oder einlaufen. Wenn ich in ein Geschäft gehe und einen anprobiere, der mir zu klein ist, sagt die Verkäuferin immer, nach ein paarmal Waschen gebe er nach und weite sich noch etwas; ist er mir zu groß, sagt sie genau das Gegenteil. Manche Verkäuferinnen sind wirklich tüchtig.
Ich verabschiedete mich von meinem Vater und meiner Schwester und sagte, ich führe eine Zeitlang weg – in Urlaub, damit es keine Diskussionen gab. Ich zog Federicos Pulli über und ging nach Hause. Auf mich wartete ein echtes Abenteuer, ich würde alles Vertraute und Bekannte hinter mir lassen und mich ins Unbekannte vorwagen. Ich spürte es: Endlich hatte ich den Mut und den Wunsch, »mich hineinzustürzen, um hinaufzufallen«, wie Federico es ausgedrückt hatte.
Mein Herz klopfte, schon fühlte ich mich lebendiger. Tags darauf machte ich mich auf den Weg, auf die Suche nach mir selbst.
Unentbehrlich für ihn
Wenn ich ein Flugzeug besteige, schaue ich mehrmals aufs Ticket und kontrolliere die Platznummer. Ich kann sie mir einfach nie merken und muss dauernd nachgucken, bis ich endlich sitze. In meinem Gehirn fehlt der Teil mit dem Erinnerungsvermögen für Bordkarten. Sei’s drum, mein Platz in dem Flugzeug ins Unbekannte lag zum Gang hin; rechts von mir saß eine sehr dicke Frau um die siebzig. Vor dem Start brachte die Stewardess ihr eine Gurtverlängerung. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich brauche kaum zu erwähnen, dass die rechte Lehne unbenutzbar war, weil da schon der Arm der Signora lag, eine Riesenmortadella mit fünf Würstchen dran.
Im Flugzeug war ich sehr aufgeregt. Ich hatte noch immer Angst zu sterben. Der Tod war mir zu nahe gekommen, es war fast, als hätte ich einen Blick auf ihn erhascht. Nun hatte ich also Flugangst, zum ersten Mal. Ich versuchte, die Sache nicht so dramatisch zu nehmen, und dachte an etwas, was mich zum Lachen brachte. Ich stellte mir nackte Zwerge vor, die auf dem Gang Nachlaufen spielen.
Und für den Fall, dass wir ins Meer stürzten, nahm ich mir fest vor, mich auf das fette Schlauchboot neben mir zu werfen. Aber der Flug verlief ruhig. Abgesehen von den sich haschenden Zwergen.
Links von mir, über den Gang, saßen zwei Mädchen. Eine brach immer wieder in Tränen aus. Obwohl ich sie nicht kannte, hätte ich ihr gern geholfen, hätte gern etwas für sie getan, sie aufgeheitert, vielleicht weil ich genug eigenes Leid, genug eigene Sorgen und Ängste hatte. Weil wir so was wie Leidensgenossen waren. Ihre verzweifelten Tränen verleiteten mich zu der Vorstellung, sie habe wie ich jemanden verloren, vielleicht einen Elternteil. Irgendwann erfuhr ich den wahren Grund, weshalb es ihr so schlechtging, als ihre Freundin sagte: »Jetzt lass mal dieses Geheule. Vergiss das Arschloch. Ab jetzt wird gefeiert. Pass auf, im Resort triffst du bestimmt zig Jungs, die besser sind als er. Sei froh, dass du diesen Vollidioten los bist. Ich an deiner Stelle würde dem Kerl keine Träne nachweinen. Du kannst von Glück reden, dass es so gelaufen ist, glaub mir…«
Das Mädchen litt, weil eine Liebesgeschichte zu Ende war. »Jetzt leck mich aber am Arsch«, dachte ich.
In dieser Zeit war ich Rassist, ich hasste alle, denen es schlechtging. Nur mein Leid war echt und real, glaubte ich, während Leute mit
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