Einfach losfahren
ging als Erste und ließ mich mit Angelica allein. Ich sah der Kleinen beim Schlafen zu. Das hatte ich schon oft getan und sie dabei häufig im Arm gehalten, aber dieses Mal ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Es gab Tage, da ähnelte sie ihrer Mutter, und Tage, da ähnelte sie Federico. Was die Ohren anging, da bestand kein Zweifel, die hatte sie von ihm: die gleichen Ohren wie Fede, klein und komisch gebogen.
Wir waren auf dem Weg zu den Großeltern.
Wie sich das Leben in dem Jahr, das hinter mir lag, verändert hatte…
Ich fuhr ihr mit dem Finger über die Nase und weiter nach unten, bis zu den Lippen. Schlaftrunken öffnete sie die Augen ein wenig, bewegte den Mund, als wäre er verklebt, schloss die Augen wieder und schlief weiter.
Viele Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich sie so im Arm hielt und ansah. Ich versuchte mir Federico vorzustellen, wie er sie im Arm hielt oder mit ihr spielte. Unterdessen war Sophie zurückgekommen, und mir fiel auf, dass ich sie zum ersten Mal in Jeans und Fleecepulli sah. Sie sah aus wie ein anderer Mensch. Dann ging ich mich umziehen. Monatelang hatte ich immer nur Flip-Flops getragen, und als ich jetzt die Schuhe anzog, passten meine Füße kaum hinein, es fühlte sich an, als wären sie gewachsen. Ich hatte Schuhe voller Fuß an. Herrlich, sich ein Fleece oder einen Pulli über die braungebrannte Haut zu ziehen! Das liebe ich mit am meisten am September. Der Sommer ist gerade vorüber, man zieht den dunkelblauen Pulli über, und aus den Ärmeln schauen die braunen Hände heraus. Wow! Am besten noch mit weißen Söckchen. Ich weiß nicht, warum mir die Version drunter Sommer, drüber Winter so gefällt. Der Kontrast macht mich verrückt. Anorak und Shorts, zum Beispiel. Oder kurzärmliges T-Shirt und Wollmütze. Hauptsache braungebrannt. Man merkt gar nicht, wie braun man ist, bis man wieder unter käsigen Leuten ist oder bis man sich zu Hause im Spiegel sieht.
Sophie blieb knapp zwei Wochen in Italien. Sie wollte den Großeltern die Enkelin zeigen, und außerdem war sie noch nie da gewesen, und keiner kannte sie. In dieser Zeit wohnte sie bei mir, in meiner Wohnung. Einige vermuteten, wir hätten was miteinander. Ich glaube, es ist normal, so etwas zu denken… für sie.
Im Kino läuft es so, dass eine Frau mit Baby im Arm an der Tür klingelt und sagt: »Hier, deine Tochter!«
Sophie und ich fuhren zu Federicos Eltern, um ihnen zu sagen: »Hier, eure Enkelin!«
Ich kannte Federicos Eltern sehr gut. Seine Mama war auch ein bisschen meine gewesen. Wenn sie in die Schulsprechstunde ging, erkundigte sie sich in Absprache mit meinem Vater immer auch nach mir. Ich hätte also ganz gelassen sein können, aber wenn ich eins nicht war, dann gelassen. Ich war superaufgeregt. Wir mussten es so einrichten, dass der Schock nicht zu groß war.
Ich klingelte und sagte meinen Namen. »Hier ist Michele. Ich bin zurück und wollte mal hallo sagen.«
Mariella öffnete uns, Giuseppe war im Keller und reparierte einen Stuhl. Ich stellte Sophie unter einem anderen Namen vor, sagte, sie sei eine Freundin, die ich im Flugzeug kennengelernt hätte.
»Ach, ist die süß… wie heißt sie denn?«, fragte Mariella mit Blick auf Angelica. »Ist das dein Kind, Michele?«
»Nein, nein, ich erklär’s dir gleich. Ich hol zuerst Giuseppe. Machst du inzwischen einen Kaffee?«
Ich ging hinunter in den Keller, wo Giuseppe an einem Stuhl herumhantierte. Er trug eins von Federicos Hemden. Als er mich sah, war er sichtlich überrascht, dann kam er auf mich zu und umarmte mich. Er freut sich immer, mich zu sehen, sei es wegen unserer Freundschaft, sei es, weil es für ihn immer ein bisschen so ist, als würde er seinen Sohn wiedersehen.
Wir gingen hinauf in die Wohnung: Mariella hielt Angelica im Arm und weinte. Sophie hatte das Problem also schon gelöst und ihr gleich die Wahrheit gesagt. Sie hatte bestimmt die richtigen Worte gefunden.
Giuseppe gegenüber mussten wir deshalb kein Theater spielen, seine Frau erzählte ihm, dass dies Sophie sei und Angelica Federicos Tochter.
Tja… den Gesichtsausdruck des Großvaters zu beschreiben ist gar nicht einfach. Eine ganze Weile reichten sie sich gegenseitig das Baby. Sie waren glücklich, verwirrt, ungläubig, vom Wunder gerührt. Sie begriffen nicht, was sie da erlebten.
An den darauffolgenden zehn Tagen besuchte Sophie die Großeltern täglich, manchmal ließ sie Angelica sogar in ihrer Obhut. Einmal, als ich nicht da war, haben sie
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