Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einfach losfahren

Einfach losfahren

Titel: Einfach losfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
Vom Netzwerk:
dass wir einmal Zeit allein miteinander verbracht hatten. Mein Vater redete in einem fort, es sprudelte nur so aus ihm heraus, endlich lachte er wieder einmal, wie früher, als ich klein war und er sich Don-Camillo-und-Peppone-Filme anschaute. Er war ein so großer Fan von Don Camillo und Peppone, dass auch ich die Filme mehrfach gesehen habe – zwangsläufig. Der andere Fimmel meines Vaters waren Western gewesen, insbesondere die mit John Wayne. Wir sprachen auch über Mama, und das war eine echte Überraschung, denn so etwas war bei uns zu Hause noch nie vorgekommen. Meine Mutter hatte nur in der jeweiligen Einsamkeit existiert. Und ich hätte es so nötig gehabt, über sie zu reden.
    Ich fragte ihn sogar, ob er nie Lust auf eine andere Frau gehabt habe, worauf er mir antwortete… ich solle ihm die Leiter halten.
    Er erzählte mir Geschichten von sich und Mama, die ich noch nicht kannte. Er hatte meine Mutter in der Werkstatt kennengelernt, als er fünfundzwanzig war. Die Werkstatt gehörte nicht ihm, er war dort Lehrling. Aus dieser Zeit gibt es ein schönes Schwarzweißfoto meines Vaters: ein hübscher junger Mann mit vollem schwarzem Haar, lächelnd, im weißen T-Shirt mit aufgekrempelten Ärmeln. Das, was man damals einen »Prachtkerl« nannte. Meine Mutter war mit ihrem Vater in die Werkstatt gekommen und hatte ihm sofort gefallen. Aber da sie nicht allein war, sagte er nichts. Unter dem Eindruck dieses Blitzes aus heiterem Himmel machte er sich dann in dem nahen Dorf, wo sie wohnte, auf die Suche nach ihr, machte ihr den Hof und heiratete sie schließlich.
    Diese Geschichte kannte ich schon. Was ich nicht wusste und was er mir erst an diesen beiden Tagen gestand, war, dass er ihr unzählige Liebesbriefe geschickt hatte, die er zusammen mit ihren Antworten noch immer in einem Karton aufbewahrte. Wie gern würde ich wenigstens einen dieser Briefe lesen. Apropos Brief, an diesem gemeinsamen Wochenende erwähnte keiner von uns den Brief, den ich geschrieben hatte, ich glaube auch nicht, dass die Veränderung im Verhalten meines Vaters darauf zurückzuführen war. Jedenfalls hatte sich etwas verändert.
    In einer Arbeitspause gingen wir ein Eis essen. Mein Vater blieb aber nicht so wie an diesen beiden Tagen, mit der Zeit normalisierte sich die Sache wieder. Trotzdem war etwas passiert, und unser Verhältnis hatte sich gebessert. Vor allem seine Versuche, sich zu öffnen, und seine plumpen Gesten der Zuneigung rührten mich sehr. Im Übrigen, ich habe es ja schon erwähnt, liebe ich ihn, und daran ist nicht zu rütteln.
    Noch etwas wartete nach meiner Rückkehr auf mich: Ich musste mir einen Job suchen. Was immer es sein würde, meine Haltung hatte sich verändert. Früher hatte ich Angst gehabt, weil ich keine Alternativen kannte. Aus Furcht, ich könne meine Stelle verlieren, klammerte ich mich daran, denn ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Was mir widerfahren war, was ich erlebt und gelernt hatte, hätte ich mir vorher nicht mal vorstellen können. Doch nun hatte ich meiner Schaffenskraft freien Lauf gelassen. Ich war nicht länger allein. Ich spürte, dass das Leben mich beschützte.
    Es ist schön, die eigenen Ängste anzugehen und zu begreifen, warum man ausgerechnet die eine bestimmte Angst hat und nicht eine andere. Die Gründe und Ursachen zu verstehen, die sich dahinter verbergen.
    In den ersten beiden Monaten arbeitete ich als Elektriker. Genauer gesagt der Elektriker war Filippo, ein alter Freund, und ich war der Elektrikergehilfe. Es war lustig mit ihm; zum Glück hatte er sich mit den Jahren verändert, er war vernünftig geworden, wie meine Oma gesagt hätte. Er war ein lebhafter Junge gewesen und ein Streithammel: Seine Freunde hatten Ruhe vor ihm, aber wen er zufällig nicht mochte, den piesackte er ordentlich. Er wollte sich immer kloppen. Er war berühmt dafür, nie aufzugeben, selbst wenn er drei oder vier gegen sich hatte. Irgendwann kursierten Geschichten wie aus einem Bruce-Lee-Film über ihn. Angeblich sei er in ein Zigeunerlager hineinspaziert, um sich sein geklautes Mofa zurückzuholen, und habe sich mit fünf oder sechs Jungs geprügelt. Je älter er wurde, desto mehr wurden die Geschichten aufgeblasen. Filippo – das wussten wir aus sicherer Quelle – hatte irgendwann sogar Godzilla persönlich den Arsch aufgerissen. Ob die Geschichten nun der Wahrheit entsprachen oder nicht, jedenfalls war er stets nicht nur von stattlicher Statur gewesen, sondern hatte auch eine

Weitere Kostenlose Bücher