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Einfach losfahren

Einfach losfahren

Titel: Einfach losfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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übrigens auch der beste Kaffee der Welt getrunken. Der, den die Pfleger für sich kochen und den sie den Patienten leider, leider nicht geben dürfen. Einmal allerdings, als ich nach einem Mofaunfall eine Woche im Krankenhaus lag, hatten mich die Pfleger ins Herz geschlossen, und so kam ich eines Nachts in den Genuss einer Tasse aus ihrer heiligen Mokkamaschine. Ein unvergessliches Erlebnis.
    In den ersten Monaten nach meiner Rückkehr nach Italien verbrachte ich viel Zeit zu Hause. Ich wollte das Buch zu Ende schreiben, und diese Arbeit nahm mich völlig in Anspruch. Ich schrieb nicht nur an dem Buch, sondern notierte auch Sätze, Gedanken, Gedichte, und zudem zeichnete ich. Manchmal begann ich zu zeichnen, ohne genau zu wissen, was. Um es herauszufinden, musste ich mir Zeit lassen und schauen, wohin es mich führte, und das Gleiche passierte beim Schreiben. Ich fing an zu schreiben, und plötzlich begannen die Figuren ein Eigenleben zu führen und übernahmen die Führung, so dass selbst ich neugierig auf das Ende wurde.
    Außerdem las ich, schaute mir Filme an, hörte Musik, saß einfach nur still da. Ich verbrachte Zeit mit meinen neuen »imaginären Freunden«, wie ich sie nannte. Es kam vor, dass ich mich mit einem Schriftsteller, einem Regisseur, einem Dichter oder Musiker besser verstand und sie mir viel näher waren als Leute, die ich vielleicht schon Jahrzehnte kannte. Bestimmte Sätze in einem Buch oder Film oder Song erschienen mir wie das Echo meiner inneren Stimme. Ich lebte abgeschieden, aber nie allein. Ich war von Menschen umgeben, die durch ihre Arbeiten, ihre Werke zu mir sprachen.
    Auf Boa Vista hatte ich viele tolle Bücher gelesen, die Federico gehört hatten. Sophie schenkte mir eins davon. Sie hätte mir auch alle gegeben, aber ich ließ sie lieber dort, weil sie mir da besser aufgehoben schienen. Das einzige, das ich mitnahm, war Der Zauberberg. Es liegt auf meinem Nachttisch.
    Schon in den letzten Tagen auf Boa Vista hatte mich eine unbändige Lust auf zu Hause überfallen. Eine Lust, die sich auch schon früher manchmal meiner bemächtigt hat, besonders im Winter; ich fuhr zum Beispiel spätnachmittags im Auto oder im Zug, wenn es schon dämmerte, und sah die Lichter in unbekannten Häusern und wäre gern selbst zu Hause gewesen, wünschte mir nichts sehnlicher.
    Abgesehen von meiner Familie war Francesca nach meiner Rückkehr praktisch der einzige Mensch, mit dem ich mich traf. Ich war zu einer Art sozialem U-Boot geworden. Ich kam mir vor wie Schopenhauers Stachelschwein, das genug innere Wärme besitzt und selbst die Distanz bestimmt, die es einhalten will.
    Nach so vielen Jahren fürchtete ich mich endlich mehr vor meinem Gewissen als vor dem Urteil der anderen.
    Ich spazierte durch die Stadt oder unternahm Radtouren. Die Menschen, denen ich begegnete, sagten alle das Gleiche. Als Erstes machten sie eine Bemerkung über mein Gewicht: »Du hast zugelegt, stimmt’s?« Oder: »Du siehst schlanker aus…«, oft beides an einem Tag. Nachdem sie mir gesagt hatten, dass ich schlanker oder dicker geworden sei, erkundigten sie sich nach meiner Arbeit und fragten schließlich, ob ich eine Verlobte hätte. Meine Antwort war immer die gleiche: »Nein, kein Interesse.« Worauf unweigerlich folgende Erwiderung kam: »Du hast nur noch nicht die Richtige gefunden.« Oder wahlweise: »Du bist zu selbstverliebt.«
    In unserer Stadt gibt es seit ewigen Zeiten einen Irren. Der Legende nach ist er nach dem Tod seiner Frau verrückt geworden. Der Mann läuft durch die Stadt, spricht, gestikuliert und diskutiert mit sich selbst. Bei uns heißt er nur »Was Kleines«, denn er geht zu den Leuten und möchte, dass sie ihm irgend »Was Kleines« geben, egal was. Er bettelt nie um Geld, er will nur »Was Kleines, was Kleines«. Wenn ich das, was ich auf meinen Spaziergängen so denke, vor mich hinsprechen würde, dann würden die Leute mich auch für verrückt erklären. Abgesehen davon, dass ich nicht um was Kleines bettele, besteht zwischen ihm und mir nur ein Unterschied in der Lautstärke: Er kann einfach nicht denken, ohne den Gedanken laut auszusprechen. Neulich gab ich ihm mal was Kleines, ich schenkte ihm mein altes Headset. Wer ihn nicht kennt, denkt jetzt, er führt ein leidenschaftliches Telefonat, wenn er vorbeigeht und dabei vor sich hinspricht und diskutiert. Sie halten ihn nicht für verrückt. Ich rede auch gern laut mit mir selbst, und oft wende ich diese Tricks an, damit ich nicht ertappt

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