Einfach losfahren
sein. Francesca und ich gingen wieder zusammen aus, aber wir schliefen nicht miteinander. Eines Tages erklärte sie, dieser läppische Auftrag, die Bücher für die Posada zusammenzustellen, habe ihr so gutgetan, dass sie wieder Lust bekommen habe, sich eine neue Arbeit zu suchen. Einige Tage später sagte sie, sie wolle unbedingt ihr Leben ändern, aber sie wisse nicht, wie und wo sie anfangen solle. Ich erbot mich, ihr zu helfen, und sie nahm das Angebot an. Das war einer der glücklichsten Tage meines Lebens, denn die Francesca, die nach diesem Entschluss geboren wurde, wird in Kürze Alices Mutter sein. Francesca liebe ich nicht nur, weil sie ist, wie sie ist, sondern auch, weil sie den Mut hatte, so zu werden. Den Mut, die zu sein, die sie geworden ist. Wenn sie darauf verzichtet, diesen Mut nicht aufgebracht hätte, dann gäbe es die heutige Francesca nicht. Nirgends fände sich eine Spur dieses Menschen. Doch alles, was sie erlebt hat, all die Dinge, die sie geliebt hat, all die Gefühle, die sie wahrhaftig empfunden hat, sind jetzt in ihr, und ich kann mich darüber freuen, weil sie beschlossen hat, sie mit mir zu teilen. Jetzt wird das alles auch für mich gedeckt und serviert.
Deshalb ist Francesca ein wunderbares Picknick.
Es war schon ein großer Schritt für sie, meine Hilfe anzunehmen, denn es war ihr immer schwergefallen, sich helfen zu lassen, sie war immer das Fräulein »Danke, ich schaff’s allein«. Dass sie meine Hilfe annahm, war schon ein deutlicher Hinweis auf eine Veränderung.
Ein paar Tage später fing sie an, Buchhandlungen nach einer Stelle abzuklappern. Leider benötigte niemand Personal. Ich erinnere mich, wie niedergeschlagen sie war.
Eines Tages rief ich mehrmals bei ihr an, aber erst abends ging sie schließlich dran. Sie weinte. Ich ging zu ihr. Ihr Gesicht war rot und verquollen. Am Nachmittag hatte sie eine Auseinandersetzung mit ihrer Mutter gehabt. Zum x-ten Mal. Da sie keine Stelle gefunden hatte, war sie auf die Idee gekommen, selbst eine kleine Buchhandlung zu eröffnen, und hatte den Vater um etwas Startkapital und eine Bürgschaft für den Kredit gebeten. Es war nur ein Gedankenspiel, um zu sehen, ob es überhaupt möglich, machbar wäre, aber ihr Vater hatte ihr Ansinnen rundweg abgelehnt: »Ich kann das nicht tun, Mama würde es mir nicht erlauben, das weißt du doch.«
Und so kam es auch: Als der Vater der Mutter davon erzählte, gab es einen Riesenkrach.
»Das ist mal wieder eine deiner Schnapsideen. Du willst uns alle ruinieren. Wie soll das gehen: Du verjubelst unser Geld, und wir verlieren die Wohnung? Unser ganzes Leben war nichts als Arbeit und Opfer. Du weißt ganz genau, dein Vater schlägt dir nichts ab, und du nutzt das hemmungslos aus. Dabei geht es ihm so schon nicht gut. Und du bereitest ihm nur Kummer. Schlag dir diese Buchhandlungsgeschichte aus dem Kopf, so was ist eine Nummer zu groß für dich. Dir geht’s doch gut in der Bar. Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester. Die hat keine Flausen im Kopf. Die führt sich nicht so unvernünftig auf…«
Diesmal weinte Francesca nicht nur wegen der Buchhandlung oder der Auseinandersetzung mit ihrer Mutter. Es steckte mehr dahinter, obwohl sie nicht herausfand, warum es ihr diesmal besonders schlechtging und sie derart verzweifelt war. Manchmal fällt eine Reaktion heftiger aus, und man weiß gar nicht, warum. Erst als wir an diesem Abend darüber sprachen, begann sie zu verstehen. Zum ersten Mal durchblickte Francesca die Rollenverteilung, die Umstände und Mechanismen in ihrer Familie. Sie hatte den Vater stets als Opfer einer unbarmherzigen Ehefrau betrachtet und die Mutter immer für das Leid des Vaters verantwortlich gemacht, für sein Unglück. Am liebsten hätte sie den Vater unter ihre Fittiche genommen und ihn aus den grausamen Krallen der Mutter befreit. Auch Francesca hätte alles getan, um ihm nahe zu sein, wie meine Schwester bei meinem Vater. Genau das Gleiche. Profitiert hat davon Francescas ältere Schwester. Francesca und ihr Vater waren die Verlierer. Die armen, armen Opfer, wie sie immer fand. Aber an diesem Tag begann sie endlich alles zu verstehen. Der Vater war kein Opfer, er war der Henker seiner selbst. Er hatte sich selbst in diese Situation gebracht, um sich in seinem Leid zu suhlen. Er benutzte die anderen, um sich selbst zu schaden. Er legte die Peitsche in die Hände seiner Frau. So wie es Francesca dann auch mit allen Männern machte, mit denen sie zusammen war.
Als sich
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