Einfach sexy
Dad und Derek schlafen gegangen waren. Einen Stoffteddy unter den Arm geklemmt, war sie neben ihn ins Bett geklettert.
»Es wird alles gut, Jesse«, hatte sie gemurmelt und ihm ihr Ärmchen unter den Nacken geschoben, während er brütend zur Decke starrte. Da hatte er das erste und einzige Mal geweint.
Als er um vier Uhr morgens aufgewacht war, hatte er den verfluchten Bären im Arm. Katie hatte zusammengerollt wie eine Katze neben ihm gelegen und fest geschlafen.
Ganz leise, als habe er seinen Vater nicht aufwecken wollen, hatte er sie wachgerüttelt, an die Hand genommen und sie barfuß durch das Salatbeet zu ihrem Haus geleitet. Da war es Viertel nach vier, und als er die Hintertür zur Küche aufdrückte, saß ihre Mutter dort weinend am Tisch. Es war ein offenes Geheimnis, dass wieder einer von Mary Beths Ehemännern ausgezogen war.
Trotz seiner zehn Jahre hatte Jesse damals schon gewusst, dass Katies Mom leider viel zu viele Männer magisch anzog, weil sie eine schöne und leidenschaftliche Frau war.
»Hi, Jess«, hatte Mary Beth zu ihm gesagt und sich die Augen gewischt. Und dann zu Katie: »He, Schlafmütze.«
Mehr nicht – keine Schimpftirade, kein Wutanfall. Sie hielt
es nicht einmal für nötig, Katie ins Kinderzimmer zu begleiten. Stattdessen brachte er das Kind ins Bett.
Jahrelang hatte Katie kommen und gehen können, wann immer sie wollte. Mary Beth war einfach zu sehr mit sich selbst und ihren Männerproblemen beschäftigt, als dass sie sich großartig um ihre Tochter hätte kümmern können.
Als er an jenem Morgen in die Küche zurückkam, wollte er sich mit einem knappen Nicken verabschieden. »Man sieht sich.«
»Jess?«
Er hatte die Türklinke umschlossen.
»Tut mir wirklich Leid mit deiner Mom. Sie hat dich sehr geliebt.«
Seine Kehle war schmerzhaft zusammengezogen, und seine Augen brannten. Aber er hielt die Tränen zurück, wollte nicht mehr weinen.
»Danke.«
Er stürmte ins Freie, über den Hof und schlüpfte zurück ins Bett, noch rechtzeitig genug, bevor sein Dad aufstand und Frühstück machte. Carlen Chapman hatte monatelang nur das Nötigste mit seinen Söhnen geredet, und die Distanziertheit zwischen ihnen war zunehmend größer geworden, bis Jesse das Gefühl hatte, auch noch den Vater zu verlieren. Immerhin aber versorgte Carlen seine Jungs mit Nahrung und Kleidung.
Nahrung und Kleidung. Zwei grundlegende Dinge, für die Eltern bei einem Kind zu sorgen hatten.
Jesse sah zu dem Teller mit dem Fertiggebäck. »Du brauchst was Richtiges zu essen.«
Travis musterte seinen neuen Dad. Genau genommen war er kein Dad wie die Stiefväter, die manche seiner Schulkameraden vor die Nase gesetzt bekamen. Dieser Typ da war von Anfang an sein Dad gewesen, nur dass es außer seiner Mom niemand gewusst hatte. Dann war er eigentlich, überlegte Travis, ein Für-ihn-neuer-Dad.
Jesse Chapman war riesengroß – bitte, bitte, bitte, lass mich auch so ein Riese werden - und beeindruckend wie ein Filmstar, gar nicht daddymäßig. Offen gestanden kam ihm sein Dad überhaupt nicht vor wie ein Vatertyp.
Nach einem Worauf hast du denn Hunger? inspizierte Jesse den Kühlschrank, und Travis hätte wetten mögen, dass ihn der Inhalt überraschte. »Hier sind ja sogar Eier«, sagte Jesse.
»Tja, Kate meint auch, dass wir was Vernünftiges in den Magen brauchen.«
»Du hast mit ihr gesprochen?«
»Heute Morgen, bevor sie zur Arbeit fuhr. Sie ist früher aufgestanden und hat noch eingekauft.«
»Dann muss sie aber sehr früh aufgestanden sein.«
»Mmh, sie will ja auch nicht, dass wir hier verhungern.« Travis lachte. »Sie ist total nett.«
Kopfschüttelnd sah sein Dad aus dem Fenster. »Ja, sie ist nett«, wiederholte er. Dann wandte er sich wieder dem Inhalt des Kühlschranks zu.
Travis saß am Tisch und überlegte, ob er erwähnen sollte, dass Kate ihm auf dem Rückweg vom Einkaufen ein großes Frühstück von McDonald’s mitgebracht hatte. Sie selbst hatte sich mit etwas Müsli und Kaffee begnügt und geseufzt: »Die fetten Oberschenkel müssen weg.« Deshalb war sie vermutlich auch mit diesen Workout-Schuhen und den umgebundenen Knöchelgewichten aus dem Haus gegangen, schloss Travis.
Er entschied, Jesse nichts von dem McDonald’s-Frühstück und den Workout-Schuhen zu erzählen.
»Du warst heute Morgen schon schwimmen«, sagte Travis nach einem Blick auf die Eier in der kleinen Pfanne. »Irgendwie erinnerst du mich an Esther Williams. Das ist diese berühmte Schwimmerin, die
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