Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
der Mann namens Magnus.
Als er sprach, verstand sofort jeder, daß diese Stimme einen Zug angehalten hatte. Er war ein langweilig aussehender Mann mit flach anliegendem schwarzem Haar, einem farblosen Gesicht und einem schwach orientalischen Einschlag an den waagrechten Schlitzen von Augen und Mund. Seine Herkunft wie sein Name waren zweifelhaft geblieben, seit Sir Aaron ihn aus der Kellnerschaft eines Londoner Restaurants »errettet« hatte und (wie manche behaupten) aus schändlicheren Dingen. Doch seine Stimme war so lebendig wie sein Gesicht tot war. Ob durch Bemühungen um Exaktheit in einer fremden Sprache oder ob aus Rücksicht auf seinen Herrn (der ein bißchen taub gewesen war), jedenfalls waren Magnus’ Töne von einer eigenartig klingenden und durchdringenden Beschaffenheit, und die ganze Gruppe fuhr zusammen, als er zu sprechen begann.
»Ich habe immer schon gewußt, daß das passieren würde«, sagte er laut mit unverschämter Gelassenheit. »Mein armer alter Herr verspottete mich, weil ich schwarzgekleidet gehe; aber ich antwortete immer, ich wolle für seine Beerdigung bereit sein.«
Und er machte eine kurze Bewegung mit seinen beiden dunkelbehandschuhten Händen.
»Sergeant«, sagte Inspektor Gilder und sah sich die schwarzen Hände voller Zorn an, »warum haben Sie diesem Kerl keine Handschellen angelegt? Er sieht mir reichlich gefährlich aus.«
»Nun, Sir«, sagte der Sergeant mit dem gleichen sonderbaren Ausdruck des Erstauntseins, »ich weiß nicht, ob wir das dürfen.«
»Was meinen Sie damit?« fragte der andere scharf. »Haben Sie ihn denn nicht verhaftet?«
Leichter Hohn verbreiterte den geschlitzten Mund, und der Pfiff einer nahenden Lokomotive erschien wie ein eigentümlich spöttischer Widerhall.
»Wir haben ihn verhaftet«, erwiderte der Sergeant feierlich, »gerade als er aus der Polizeistation zu Highgate kam, wo er Inspektor Robinsons Fürsorge das gesamte Geld seines Herrn anvertraut hatte.«
Gilder sah den Kammerdiener mit größtem Erstaunen an. »Warum in aller Welt haben Sie denn das getan?« fragte er Magnus.
»Natürlich, um es vor dem Verbrecher in Sicherheit zu bringen«, erwiderte jene Person gelassen.
»Sicherlich«, sagte Gilder, »hätte Sir Aarons Geld unbesorgt bei Sir Aarons Familie bleiben können.«
Das Ende dieses Satzes ging im Dröhnen des Zuges unter, der schüttelnd und klirrend vorbeirollte; aber durch diese Hölle von Gelärme, deren regelmäßiges Opfer das unglückliche Haus war, konnten sie die Silben von Magnus’ Antwort in all ihrer glockenähnlichen Klarheit vernehmen: »Ich habe keinen Grund, zu Sir Aarons Familie Vertrauen zu haben.«
All die bewegungslosen Männer hatten das gespenstische Gefühl der Anwesenheit einer weiteren Person; und Merton war kaum überrascht, als er aufblickte und das blasse Gesicht von Armstrongs Tochter über Father Browns Schulter sah. Sie war noch jung und auf silbrige Art schön, aber ihr Haar war von so staubigem farblosem Braun, daß es unter bestimmten Umständen aussah, als sei es bereits völlig ergraut.
»Seien Sie vorsichtig mit dem, was Sie sagen«, sagte Royce schroff, »sonst erschrecken Sie Fräulein Armstrong.«
»Das hoffe ich«, sagte der Mann mit der klaren Stimme.
Als die Frau zusammenzuckte und sich alle anderen wunderten, fuhr er fort: »Ich bin an Fräulein Armstrongs Zittern einigermaßen gewöhnt. Ich habe sie seit Jahren zittern gesehen. Manche behaupteten, sie zittere vor Kälte, und andere, sie zittere vor Furcht; aber ich weiß, daß sie aus Haß und bösem Zorn zitterte – Teufel, die heute morgen ihr Freudenfest feierten. Ohne mich wäre sie inzwischen mit ihrem Liebhaber und dem ganzen Geld über alle Berge. Seit mein armer alter Herr sie daran hinderte, diesen betrunkenen Lumpen zu heiraten – «
»Halt«, sagte Gilder sehr streng; »wir haben nichts mit Ihren Familienphantastereien oder Verdächtigungen zu tun. Solange Sie keine handfesten Beweise haben, sind Ihre bloßen Meinungen – «
»Oh! Ich werde Ihnen handfeste Beweise geben«, fiel Magnus ihm mit seinem hackenden Akzent ins Wort. »Sie werden mich als Zeugen aufrufen müssen, Herr Inspektor, und ich werde die Wahrheit sagen müssen. Und die Wahrheit ist die: Einen Augenblick, nachdem der alte Mann blutend aus dem Fenster gestürzt worden war, rannte ich in die Dachkammer und fand seine Tochter da ohnmächtig auf dem Boden mit einem blutigen Dolch noch in der Hand. Erlauben Sie mir, den ebenfalls den zuständigen
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