Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
wiesen ihn als Soldaten aus, doch hatte er jene eigentümlich offenen und durchdringenden blauen Augen, die man häufiger bei Seeleuten findet. Sein Gesicht war irgendwie kantig, sein Kiefer war kantig, seine Schultern waren kantig, sogar seine Jacke war kantig. Und wirklich hatte Max Beerbohm ihn in jener damals vorherrschenden wilden Schule der Karikatur als Lehrsatz aus dem vierten Buch Euklids dargestellt.
Denn auch er war ein Mann der Öffentlichkeit, wenngleich seine Erfolge ganz anderer Art waren. Man brauchte kein Mitglied der besten Gesellschaft zu sein, um von Hauptmann Cutler gehört zu haben, von der Belagerung Hongkongs und dem großen Marsch durch China. Wo immer man sich befand, wurde unausweichlich von ihm gesprochen; jede zweite Postkarte trug sein Porträt; seine Karten und Schlachten fanden sich in jeder zweiten Illustrierten; Lieder zu seinen Ehren hörte man in jeder zweiten Varieté-Nummer oder von jeder zweiten Drehorgel. Sein Ruhm, obwohl möglicherweise zeitgebundener, war doch zehnmal verbreiteter, volkstümlicher und spontaner als der des anderen Mannes. In Tausenden englischer Heime ragte er gewaltig über England empor, wie Nelson. Und doch hatte er unendlich viel weniger Macht in England als Sir Wilson Seymour.
Die Tür ward ihnen von einem alten Diener oder Garderobier geöffnet, dessen niedergeschlagene Miene und Haltung und dessen schwarzer schäbiger Anzug sonderbar kontrastierten mit der glitzernden Inneneinrichtung der Garderobe jener großen Schauspielerin. Sie war mit Spiegeln in jeglichem Brechungswinkel dermaßen ausgestattet und gefüllt, daß sie wie die hundert Facetten eines riesigen Diamanten wirkten – falls man ins Innere eines Diamanten eintreten kann. Die anderen Anzeichen von Luxus, ein paar Blumen, ein paar bunte Kissen, ein paar Bühnenkostüme, wurden von all den Spiegeln in den Irrwitz von Tausendundeiner Nacht vervielfacht und tanzten und veränderten ständig ihren Ort, ganz wie der herumschlurfende Diener einen Spiegel vorzog oder einen anderen an die Wand zurückschob.
Beide sprachen den düsteren Diener mit Namen an, nannten ihn Parkinson und fragten nach seiner Herrin als nach Miss Aurora Rome. Parkinson sagte, daß sie sich im Nebenraum befinde und daß er zu ihr gehen und sie benachrichtigen wolle. Ein Schatten flog über die Stirnen beider Besucher; denn der Nebenraum war die Privatgarderobe jenes großen Schauspielers, mit dem Miss Aurora auftrat, und sie war von jener Art, die Bewunderung nicht entfacht, ohne zugleich Eifersucht zu entfachen. Nach etwa einer halben Minute aber öffnete sich die Verbindungstür, und sie trat auf wie immer, selbst im privaten Leben, so daß sogar das Schweigen wie donnernder Applaus erschien, und wohlverdienter. Sie trug ein etwas sonderbares Gewand aus pfauengrünem und pfauenblauem Satin, der glitzerte wie blaues und grünes Metall, wie es Kinder und Ästheten entzückt, und ihr schweres, glühendbraunes Haar umrahmte eines jener zauberischen Gesichter, die allen Männern gefährlich sind, besonders aber Knaben und Ergrauenden. Gemeinsam mit ihrem Kollegen, dem großen amerikanischen Schauspieler Isidore Bruno, brachte sie eine besonders poetische und phantastische Interpretation des Sommernachtstraums auf die Bühne, worin der künstlerische Vorrang Oberon und Titania eingeräumt war, oder mit anderen Worten Bruno und ihr. In den träumerischen und erlesenen Kulissen und in den mystischen Tänzen drückte das grüne Kostüm, wie schillernde Käferflügel, die ganze unfaßbare Ausstrahlung einer Elfenkönigin aus. Wenn man ihr aber in jenem immer noch hellen Tageslicht persönlich gegenüberstand, sah ein Mann nichts anderes als das Antlitz dieser Frau.
Sie begrüßte beide Männer mit jenem strahlenden verwirrenden Lächeln, das so manchen Mann in gerade der gleichen gefährlichen Entfernung zu ihr hielt. Sie nahm von Cutler einige Blumen entgegen, die so tropisch und kostspielig waren wie seine Siege; und eine andere Art Geschenk von Sir Wilson Seymour, das jener Gentleman ihr später und nachlässiger überreichte. Denn seiner Aufzucht widersprach es, seine Gefühle zur Schau zu stellen, und seiner konventionellen Unkonventionalität, so etwas Offenbares wie Blumen zu schenken. Er habe da, sagte er, eine Kleinigkeit gefunden, die eher eine Kuriosität sei; einen antiken griechischen Dolch aus der mykenischen Epoche, der sehr wohl zur Zeit von Theseus und Hippolyte getragen worden sein mochte. Er sei aus Bronze,
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