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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Thema Herzog von Exmoor und seine Ahnen anschnitt.
    Mir schien es, als ob das Thema den beiden anderen etwas peinlich sei; aber es brach höchst erfolgreich den Bann des Schweigens des dritten Mannes. Er sprach mit Zurückhaltung und mit dem Akzent eines hochgebildeten Herrn, und ab und zu paffte er aus seiner langen Tonpfeife, aber zugleich erzählte er mir einige der schauerlichsten Geschichten, die ich in meinem ganzen Leben vernommen habe: wie in früheren Zeiten einer der Eyres seinen eigenen Vater aufgehängt hat; und wie ein anderer seine Frau an einen Karren gebunden durchs Dorf geißeln ließ; und wie wieder ein anderer eine Kirche voller Kinder in Brand steckte, und so weiter.
    Einige dieser Berichte sind tatsächlich nicht zur Veröffentlichung geeignet; wie zum Beispiel die Geschichte von den Scharlachroten Nonnen, die scheußliche Geschichte vom Gefleckten Hund oder die Sache, die sich im Steinbruch abspielte. Und dieses ganze Rotbuch der Ruchlosigkeit kam eher spröde von seinen dünnen aristokratischen Lippen, als er da saß und Wein aus seinem hohen dünnen Glas schlürfte.
    Ich konnte sehen, daß der große Mann mir gegenüber alles nur Mögliche versuchte, um ihn zum Schweigen zu bringen; aber offenbar brachte er dem alten Herrn tiefe Hochachtung entgegen und wagte nicht, ihn einfach abrupt zu unterbrechen. Und der kleine Priester am anderen Ende des Tisches blickte, obwohl frei von solchen Gefühlen der Peinlichkeit, stetig auf den Tisch und schien die Erzählungen mit großem Unbehagen anzuhören – was nur zu verständlich ist.
    ›Sie scheinen‹, sagte ich zu dem Erzähler, ›dem Stammbaum der Exmoors nicht eben wohlgesinnt zu sein.‹
    Er blickte mich einen Augenblick lang an, mit immer noch spröden Lippen, die aber weiß wurden und sich zusammenpreßten; dann zerbrach er absichtlich Tonpfeife und Glas auf dem Tisch und erhob sich, das vollkommene Ebenbild des vollkommenen Gentlemans mit dem jähen Zorn eines Teufels.
    ›Diese Herren‹, sagte er, ›werden Ihnen erzählen, ob ich Grund habe, ihn zu mögen. Der Fluch der alten Eyres hat schwer auf diesem Land gelastet, und viele haben darunter gelitten. Und sie wissen, daß niemand darunter so gelitten hat wie ich.‹ Und damit zermalmte er eine herabgefallene Scherbe des Glases unter seinem Absatz und schritt von dannen, hinein in das grüne Zwielicht unter den schimmernden Apfelbäumen.
    ›Das ist ein ungewöhnlicher alter Herr‹, sagte ich zu den beiden anderen; ›wissen Sie zufällig, was ihm die Familie Exmoor angetan hat? Wer ist das?‹
    Der große Mann in Schwarz starrte mich mit dem wilden Ausdruck eines erschreckten Stieres an; doch schien er zunächst meine Frage gar nicht zu begreifen. Aber schließlich sagte er: ›Sie wissen nicht, wer er ist?‹
    Ich bekräftigte mein Unwissen, und darauf war wieder Schweigen; und dann sagte der kleine Priester, der immer noch auf den Tisch starrte: ›Das ist der Herzog von Exmoor.‹
    Und bevor ich noch meine verwirrten Sinne einsammeln konnte, fügte er ebenso ruhig, aber mit einer Miene des Dingeordnens hinzu: ›Mein Freund hier ist Dr. Mull, der Bibliothekar des Herzogs. Und mein Name ist Brown.‹
    ›Aber‹, stammelte ich, ›wenn er der Herzog ist, wieso verflucht er denn dann die alten Herzöge dermaßen?‹
    ›Weil er wirklich zu glauben scheint‹, antwortete der Priester namens Brown, ›daß sie ihn mit einem Fluch belastet haben.‹ Und dann fügte er ziemlich belanglos hinzu: ›Deshalb trägt er auch eine Perücke.‹
    Es dauerte einige Augenblicke, ehe mir die Bedeutung dieser Mitteilung klar wurde. ›Sie sprechen doch wohl nicht von der Fabel über das phantastische Ohr?‹ fragte ich. ›Ich habe natürlich davon gehört, aber das muß sicherlich ein abergläubisches Garn sein, das aus etwas viel Einfacherem herausgesponnen ist. Ich habe mir manchmal gedacht, daß es vielleicht eine wilde Variante jener Verstümmelungsgeschichten ist. Im 16. Jahrhundert pflegte man doch Verbrechern ein Ohr abzuschneiden.‹
    ›Ich glaube nicht, daß es das war‹, antwortete der kleine Mann nachdenklich, ›aber es ist keineswegs außerhalb der normalen Wissenschaft oder der Naturgesetze, daß sich in einer Familie eine Mißbildung immer wieder vererbt – so wie ein Ohr, das größer ist als das andere.‹
    Der große Bibliothekar hatte seine große kahle Stirn in seine großen roten Hände vergraben, wie ein Mann, der versucht, sich über seine Pflicht klarzuwerden. ›Nein‹,

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