Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
Tot‹, die nie gewußt haben, daß Lord Jones lebte. Ihr Berichterstatter aber glaubt, daß das wie manche andere journalistische Gepflogenheit schlechter Journalismus ist; und daß der ›Daily Reformer‹ in solchen Dingen ein besseres Beispiel geben sollte. Daher schlägt er vor, seine Geschichte so zu erzählen, wie sie sich ereignete, Schritt um Schritt. Er wird die wirklichen Namen der Beteiligten nennen, die fast alle bereit sind, seinen Bericht zu bestätigen. Und was die Schlagzeilen angeht, die sensationellen Bekanntmachungen – sie werden am Schluß stehen.
Ich wanderte einen öffentlichen Pfad entlang, der durch einen privaten Obstgarten in Devonshire führt und so aussieht, als führe er einen zu Devonshirer Apfelwein, als ich plötzlich zu genau so einem Lokal kam, wie es der Pfad andeutete. Es war ein langgestreckter, niedriger Gasthof, der in Wirklichkeit aus einem Bauernhaus und zwei Scheunen bestand; vollkommen überdacht mit einem Strohdach aus jenem Stroh, das aussieht wie braunes und graues Haar, das bereits vor aller Geschichte gewachsen ist. Vor der Tür gab es ein Wirtshausschild, das es ›Der Blaue Drachen‹ nannte; und unter dem Schild stand einer jener langen ländlichen Tische, die vor den meisten freien englischen Gasthäusern standen, ehe Abstinenzler und Brauer gemeinsam diese Freiheit zerstörten. Und an diesem Tisch saßen drei Herren, die gut und gerne vor dreihundert Jahren gelebt haben könnten.
Jetzt, da ich sie alle besser kenne, ist es nicht schwierig, die Eindrücke auseinander zu halten; damals aber sahen sie mir wie drei sehr solide Gespenster aus. Die beherrschende Erscheinung war, sowohl weil er in allen drei Dimensionen größer war und weil er mitten an der Längsseite des Tisches saß, das Gesicht mir zugewandt, ein hochgewachsener fetter Mann, vollständig in Schwarz gekleidet, mit rötlichem, ja zu Schlagfluß neigendem Gesicht, aber einer ziemlich kahlen und ziemlich kummerzerfurchten Stirn. Als ich nochmals genauer hinsah, konnte ich nicht genau sagen, was mir den Eindruck von Altertümlichkeit gab, abgesehen vom altertümlichen Schnitt seines weißen klerikalen Kragens und den tief in seine Stirn eingegrabenen Falten.
Noch weniger leicht war es, den Eindruck im Fall des Mannes am rechten Ende des Tisches festzuhalten, der, um die Wahrheit zu sagen, eine so alltägliche Erscheinung war, wie man sie nur überall sehen kann, mit einem runden braunhaarigen Kopf und einer runden Stupsnase, aber ebenfalls in klerikales Schwarz gekleidet, wenngleich von strengerem Schnitt. Erst als ich seinen Hut mit der breiten aufgebogenen Krempe neben ihm auf dem Tisch liegen sah, begriff ich, warum ich ihn mit irgend etwas Antikem verband. Er war ein römisch-katholischer Priester.
Vielleicht hatte der dritte Mann, jener am anderen Ende des Tisches, mehr damit zu tun als die übrigen, obwohl er sowohl an physischer Präsenz geringer wie auch in seiner Kleidung gleichgültiger war. Seine schmächtigen Gliedmaßen waren in sehr enge graue Ärmel und Hosen gekleidet, ich könnte auch sagen gequetscht; er hatte ein langes, bleiches Adlergesicht, das um so schwermütiger aussah, als seine hageren Wangen in einen Kragen und ein Halstuch nach der Art der Alten vergraben war; und sein Haar (das eigentlich dunkelbraun hätte sein sollen) hatte eine eigenartig dumpfe rötliche Farbe, die über seinem gelblichen Gesicht eher purpurn als rot wirkte. Die unaufdringliche, wenngleich unübliche Farbe war um so bemerkenswerter, weil sein Haar von fast unnatürlicher Fülle und Lockigkeit war und er es lang trug. Jedoch neige ich nach gründlicher Analyse dazu anzunehmen, daß mir den ersten Eindruck von Altertümlichkeit die hohen, altmodischen Weingläser, ein oder zwei Zitronen und zwei Tonpfeifen vermittelten. Und vielleicht auch die Suche nach der Vergangenheit, die mich hergeführt hatte.
Da ich ein abgebrühter Reporter bin, und da es allem Anschein nach ein öffentliches Gasthaus war, brauchte ich nicht allzuviel von meiner Unverschämtheit zu Hilfe zu nehmen, um mich an dem langen Tisch niederzulassen und Apfelwein zu bestellen. Der große Mann in Schwarz erschien sehr gelehrt, insbesondere in Lokalgeschichte; der kleine Mann in Schwarz überraschte mich, obwohl er sehr viel weniger sprach, durch noch umfassendere Kenntnisse. So vertrugen wir uns ganz gut miteinander; aber der dritte Mann, der alte Gentleman in den engen Hosen, schien ziemlich unnahbar und hochmütig, bis ich das
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