Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
befand. Flambeau beugte sich während eines Augenblicks gewalttätigen Schweigens zu ihr nieder und sagte dann: »Das Tor ist verschlossen.«
Während er noch sprach, brach eine schwarze Feder aus einer der Zierföhren herab und kitzelte die Krempe seines Hutes. Das schreckte ihn mehr auf, als die kleine entfernte Explosion, die unmittelbar zuvor zu hören war. Dann folgte eine andere entfernte Explosion, und die Tür, die er zu öffnen sich mühte, erbebte unter der Kugel, die sich in sie eingrub. Flambeaus Schultern füllten sich erneut und veränderten dann plötzlich ihr Aussehen. Drei Scharniere und ein Schloß zerbarsten zugleich, und er stürmte in den leeren Fußweg hinaus, wobei er die große Gartentür mit sich schleppte, wie einst Samson das Stadttor von Gaza.
Dann schleuderte er die Gartentür über die Gartenmauer, gerade als ein dritter Schuß Schnee und Staub hinter seinen Absätzen aufsprühen machte. Ohne weitere Förmlichkeiten schnappte er sich den kleinen Priester, schwang ihn sich rittlings auf die Schultern und rannte auf Seawood los, so schnell ihn seine langen Beine nur tragen konnten. Erst fast zwei Meilen weiter setzte er seinen kleinen Gefährten nieder. Es war keine sehr würdevolle Flucht gewesen, trotz des klassischen Vorbildes von Anchises, aber auf Father Browns Gesicht lag nur ein breites Grinsen.
»Alsdann«, sagte Flambeau nach einem ungeduldigen Schweigen, als sie ihre konventionellere Wanderung durch die Straßen am Rande der Stadt wieder aufnahmen, wo sie keinerlei Gewalttätigkeiten zu befürchten hatten, »ich habe zwar keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hat, aber ich glaube, ich kann meinen eigenen Augen doch so weit vertrauen, daß Sie dem Mann, den Sie so genau beschrieben haben, niemals begegnet sind.«
»Ich bin ihm in gewisser Weise wohl begegnet«, sagte Brown und biß reichlich nervös auf seinen Fingern herum –, »wirklich. Und es war zu dunkel, als daß ich ihn genau hätte sehen können, denn das geschah unter diesem Musikpavillon. Aber ich fürchte, daß ich ihn doch nicht so ganz genau beschrieben habe, denn sein Zwicker lag zerbrochen unter ihm, und die lange goldene Nadel war nicht durch seinen Schal gestochen, sondern durch sein Herz.«
»Und ich nehme an«, sagte der andere leiser, »daß dieser glasäugige Bursche irgendwas damit zu tun hat.«
»Ich hatte gehofft, nur ein bißchen«, antwortete Brown mit bekümmerter Stimme, »und vielleicht handelte ich falsch mit dem, was ich tat. Aber ich handelte spontan. Und ich fürchte, daß diese Angelegenheit tiefe und düstere Wurzeln hat.«
Sie schritten schweigend durch einige Straßen. Die gelben Lampen wurden im kalten blauen Dämmerlicht angesteckt, als sie sich offenbar immer mehr den zentralen Teilen der Stadt näherten. Hochbunte Anzeigen waren an die Mauern geklebt und kündigten den Boxkampf zwischen Nigger Ned und Malvoli an.
»Also«, sagte Flambeau, »ich habe nie jemanden umgebracht, selbst nicht in meinen kriminellen Zeiten, aber ich kann beinahe Mitgefühl für jemanden aufbringen, der so was an so einem trübsinnigen Ort tut. Von allen gottverlassenen Müllhaufen in der Natur sind wohl solche Orte am herzzerbrechendsten, die wie der Musikpavillon da festlich gedacht waren und nun verlassen sind. Ich kann mir vorstellen, wie einen morbiden Mann das Gefühl überkommt, er müsse seinen Rivalen in der Einsamkeit und Ironie einer solchen Szenerie morden. Ich erinnere mich, wie ich einstens eine Fußwanderung in Ihr herrliches Hügelland von Surrey unternommen habe, und an nichts als an Ginster und Lerchen dachte, und auf einen großen Kreis flachen Landes herauskam und sich über mir eine riesige schweigende Konstruktion emportürmte, Sitzreihe um Sitzreihe, so gewaltig wie ein römisches Amphitheater und so leer wie ein neuer Briefkasten. Ein Vogel segelte über ihr durch den Himmel. Das war die Tribüne des großen Rennplatzes von Epsom. Und ich hatte das Gefühl, daß dort niemals mehr jemand glücklich sein würde.«
»Sonderbar, daß Sie ausgerechnet Epsom erwähnen«, sagte der Priester. »Erinnern Sie sich an die Geschichte, die man das Sutton-Geheimnis nannte, weil zwei verdächtigte Männer – ich glaube Eiscremeverkäufer – zufällig in Sutton wohnten? Sie wurden schließlich freigesprochen. Man hatte, hieß es, in den Hügeln der Umgebung einen Mann erwürgt aufgefunden. In Wirklichkeit wurde er, wie ich zufällig weiß (von einem irischen Polizisten, der ein Freund von mir
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