Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)

hatte man ihr den Fall sowieso schon weggenommen. Lieber einen Fehler riskieren und sich einen Rüffel einhandeln, als gar nichts zu unternehmen. Aber wenn sie falsche Anschuldigungen machte, auch noch ausgerechnet jetzt, wo Caroline ausziehen wollte, wäre ihre Freundschaft wahrscheinlich nicht mehr zu kitten. Außerdem bestand die Gefahr, dass der Täter, wenn er erfuhr, dass die Polizei ihm auf den Fersen war, einfach untertauchte. Er war ja schon einmal vom Erdboden verschwunden, und das wollte sie auf keinen Fall riskieren.
    Jessica beschloss, nach Hause zurückzukehren. Vielleicht war Caroline ja schon von der Arbeit zurück. Wenn nicht, war zumindest ihr Auto da. Sie könnte zu Carolines Büro fahren und sie zur Polizeiwache bringen. Ihre Vorgesetzten könnten dann entscheiden, was zu tun war. Der Markt war etwa zehn Fahrminuten von ihrer Wohnung entfernt. Das gab ihr auch genug Zeit, ihre Schlussfolgerungen auf Fehler abzuklopfen. Sie eilte zum Taxistand vor der Markthalle und stieg in den ersten Wagen ein.
    Dann gab sie dem Fahrer die Adresse und versuchte immer wieder, mit ihrem angeknacksten Handy Caroline anzurufen. Ohne Erfolg. Es hatte auch keinen Sinn, noch mehr Nachrichten zu hinterlassen.
    Unterwegs überlegte sie, ob ihr vielleicht doch ein Fehler unterlaufen war, aber alles, was ihr einfiel, bestärkte sie nur in ihren Befürchtungen. Caroline kannte Randalls Eltern nicht. Er sagte zwar, sie lebten im Ausland, aber das musste ja nicht stimmen. Und was war mit Ryan? Er hatte behauptet, die Akten im Wohnzimmer auf dem Tisch gefunden zu haben, obwohl sie sie neben der Wohnzimmertür unter ihrer Tasche deponiert hatte. Aber vielleicht hatte er ja gar nicht gelogen. Vielleicht hatte Randall sich die Akten angesehen und sie auf dem Tisch liegen lassen. Ein schrecklicher Gedanke. War Randall zu dem Schluss gekommen, dass die Polizei die Verbindung zwischen den Opfern bald herausfinden unddamit auch die Identität des Mörders aufdecken würde? Mussten Claire Hogan und Mary Keegan früher sterben als geplant, weil sie die Akten hatte herumliegen lassen?
    Der Taxifahrer war einsame Spitze. Sie drückte ihm einen Zehnpfundschein in die Hand und eilte zur Tür. Als sie den Schlüssel ins Schloss steckte, musste sie unvermittelt daran denken, wie Nigel Collins alias Randall Anderson die Türen seiner Opfer aufgeschlossen hatte.
    Sie stieß die Tür auf und ging hinein. »Caroline?«
    Keine Antwort. Jessica stellte ihre Tasche neben der Wohnungstür ab und holte ihr Handy heraus, um es in ihre Jackentasche zu stecken. Dann holte sie die Autoschlüssel aus ihrem Zimmer. Plötzlich war ihr, als hätte sie ein leises Rascheln aus Carolines Zimmer gehört. Ihr Herz machte einen Sprung. Zuerst dachte sie, Caroline wäre doch zu Hause, aber dann kam ihr plötzlich ein schrecklicher Gedanke.
    Sie ging ganz langsam den Flur entlang und mied die Stellen, wo sich unter dem Teppichboden die knarrenden Dielen befanden. Sie kam an ihrem Zimmer vorbei und näherte sich vorsichtig Carolines Tür. Sie war nur leicht angelehnt. Jessica war sich sicher, dass sie im Zimmer Geräusche hörte. Sie hielt den Atem an und spähte durch den Spalt zwischen Türangeln und Rahmen, konnte aber nichts sehen. Dann schaute sie durch die schmale Türöffnung, aber alles, was sie sah, war eine Seite von Carolines Bett. Sachte drückte sie die Tür etwas weiter auf, bis sie das Bett besser sehen konnte. Sie streckte zaghaft den Kopf vor und schaute hinter die Tür.
    Dort stand Randall, der gerade etwas aus dem Wandschrank nahm. Er drehte sich zu ihr um und sah sie verwundert an. »Jess? Entschuldigung, ich hab dich gar nicht gehört. Caroline musste zur Arbeit, aber sie hat mir den Schlüssel gegeben, damit ich schon mal anfangen kann, ihre Sachen in die neue Wohnung zu bringen. Hat sie dir keine SMS geschickt?«
    Jessica war wie erstarrt. Was machte sie hier eigentlich? Randall war größer und stärker als sie. Sie konnte sich doch nicht einfachvor ihn stellen, ihm sagen, er sei entlarvt und dann die Polizei rufen. Sie wusste ja, wozu er fähig war. Sie hatte die vier Leichen gesehen. Und wenn er sie auch umbringen würde, würde die Polizei wahrscheinlich annehmen, dass es Nigel Collins war, der die Polizistin, die ihm auf den Fersen war, aus dem Weg räumen wollte. Und wenn man Randalls DNA fand, wäre das auch nicht weiter verdächtig, denn er war schließlich Carolines Freund.
    Sie musste also sehr vorsichtig sein, konnte aber die Wohnung