Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
Rücken zur Fahrtrichtung. Das kam ihr irgendwie unnatürlich vor. Auch die seitwärts gerichteten Sitze mochte sie nicht besonders. Warum waren im Zug nicht alle Sitze nach vorn gerichtet? Im Flugzeug ging das doch auch.
Auf der Fahrt nach Leeds saß sie neben Cole, rücklings zur Fahrtrichtung, und ihr war leicht übel. Mit dem Auto über die Pennines zu fahren war nie ein Vergnügen, aber montagmorgens war der Verkehr besonders dicht. Jessica würde es niemals zugeben, besonders nicht Rowlands gegenüber, aber sie fuhr mit ihrem eigenen Wagen nicht gern Autobahn. Sie traute ihrem Auto gerade noch die paar Kilometer zur Wache und zurück zu. Und ab und zu fuhr sie damit auch zu ihren Eltern, doch nur über Nebenstraßen. Aber eine Fahrt quer durch England würde sie sicher nicht riskieren. Außerdem bezahlte die Polizeibehörde nicht gern Spesen für Autofahrten. Deshalb hatten sie sich für die Bahn entschieden.
Während die Landschaft draußen vorbeidonnerte, plauderten sie über dieses und jenes. Keiner von beiden hatte wirklich Lust, über den Fall zu reden. Cole erzählte ihr von seinem Sonntagsausflug mit Frau und Kindern. Das war eine fremde Welt für sie. Vor allem musste sie dabei unvermittelt an Kim Hogan denken, die kaum jemals ein richtiges Familienleben kennengelernt hatte.
Cole und Jessica hatten die vorläufigen Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung bereits gesehen. Claires Halswunden waren mit denen bei Yvonne Christensen und Martin Prince fastidentisch. Wieder war ein Stahlseil oder Draht verwendet worden. Deshalb und weil die Wohnung verriegelt gewesen war, waren sie relativ sicher, dass der Täter in allen drei Fällen derselbe war. Auch diesmal hatte der Mörder keinerlei Spuren hinterlassen, weder Fingerabdrücke noch DNA oder Blut. Auch unter Claires Fingernägeln war nichts. Wahrscheinlich hatte sie an dem Abend ihres Todes auch keinen Sex gehabt.
Entweder war der Mörder von vornherein äußerst vorsichtig gewesen oder er kannte sich aus und wusste, wie man seine Spuren beseitigt.
Auf den beiden Geldscheinen aus der Küche hatte man Fingerabdrücke von mindestens sechs Personen und Spuren von Kokain gefunden. Die Kriminaltechniker bemühten sich, etwas Brauchbares zu finden, aber Jessica hatte wenig Hoffnung. Selbst wenn sie Spuren fanden, konnten sie damit höchstens Personen als Verdächtige ausschließen, es sei denn, es gab eine Übereinstimmung in der landesweiten DNA-Datenbank.
Jessica wäre zu diesem Zeitpunkt schon damit zufrieden gewesen, wenigstens jemanden ausschließen zu können.
Sie hatte morgens auf der Titelseite des
Herald
wieder Garry Ashfords Namen gesehen. Überall in den Medien wurde über den Mord berichtet, aber Jessica ging davon aus, dass außer Garry niemand mit der Nachbarin gesprochen hatte. Seine Beharrlichkeit konnte einem zwar ziemlich auf die Nerven gehen, aber er hatte Erfolg damit. Sie fragte sich, wer wohl seine Quelle war. Es gab da verschiedene Möglichkeiten. Vielleicht jemand von der Spurensicherung? Die waren als Einzige an jedem der drei Tatorte gewesen. Andererseits hatte der Informant auch über den Vorfall mit Lapham Bescheid gewusst.
Der Zug fuhr behäbig in den Bahnhof ein. Sie blieben sitzen, bis die anderen Fahrgäste, größtenteils Pendler, ausgestiegen waren. Anzüge, schicke Schuhe und Aktenkoffer, die wie eine große, zusammenhängende Masse zum Ausgang strömten. Als alle weg waren, stiegen auch sie aus und zeigten dem Kontrolleur an der Sperre ihre Fahrkarten. Dann nahmen sie ein Taxi zum Gefängnis.
Die geschlossene Vollzugsanstalt war in einer massiven Steinkonstruktion aus viktorianischer Zeit untergebracht. Shaun Hogan war ein Häftling der Kategorie B, was bedeutete, dass er nicht zusammen mit den gefährlichsten Gewaltverbrechern verwahrt wurde, aber auch nicht für den offenen Vollzug geeignet war. Jessica wusste, gefährliche Körperverletzungen wie die, deretwegen er einsaß, waren keine Seltenheit. Der Fall erinnerte sie an den Angriff auf Harry, nur dass hier kein Messer im Spiel gewesen war. Shaun Hogan hatte jemandem einen Kopfstoß versetzt und ihn, als er am Boden lag, auch noch gegen den Kopf getreten.
Er konnte von Glück sagen, dass der andere überlebt hatte.
Obwohl er sich schuldig bekannt hatte, war er zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, aber wegen guter Führung und der Zeit, die er in Untersuchungshaft verbracht hatte, würde er in ein paar Monaten entlassen, nachdem er etwas mehr als die
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