Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
waren schon lang verschwunden. Scott, der Anführer, lief vorneweg. Er war der Jüngste, aber auch Schnellste. Er sprang über eine schief liegende Steinplatte und spornte die anderen an, ihm zu folgen.
Dann kam Jon, der Älteste und zugleich Ruhigste der vier. Er machte keinen so vergnügten Eindruck wie die anderen. Er trat sehr vorsichtig auf und achtete darauf, nicht hinzufallen und von den anderen ausgelacht zu werden. Der Nächste war Jamo. Aufgekratzt und voller Energie äffte er Scotts Jubelrufe nach und machte übertriebene Hüpfbewegungen. Shaun war der Letzte, außer Atem, was aber niemand merken sollte. Auch er jauchzte wie die anderen, denn er wollte nicht außen vor bleiben.
Es war ihm nicht leichtgefallen, Freunde zu finden, vor allem, nachdem sein Vater weggegangen war. Die anderen Kinder in der Schule lachten ihn aus. Auch Scott, aber es störte ihn nicht, wenn Shaun mit ihnen herumhing. Shaun tat alles, um dazuzugehören: Er machte bei Mutproben mit, stahl im Laden Schokoriegel und klopfte bei alten Leuten an die Tür, um dann wegzurennen. Siehatten sich sogar einen Trick ausgedacht, bei dem Scott auf dem Vordach über der Tür eines Hauses lag und von oben aus klopfte. Der Mann, der dort wohnte, kam dann jedes Mal kochend vor Wut rausgerannt, konnte aber niemanden entdecken. Shaun fühlte sich nie ganz wohl dabei, wenn sie hinter Bäumen in der Nähe versteckt zuschauten, aber wenigstens lachten dann seine Freunde nicht über ihn.
Was die vier verband, war nicht ihr Alter, sondern Langeweile. Wenn es darum ging, einen Ball herumzukicken, war es egal, in welcher Klasse man war.
Eigentlich hätte Scott derjenige sein müssen, der zu den anderen aufschaute. Nach außen hin wirkte er ruhiger als sie und außerdem war er der Kleinste. Aber Jon, Jamo und Shaun wussten, dass der Schein trog. Scott war der coole Junge, der immer einen frechen Spruch auf den Lippen hatte und bei Sonnenschein die Schule schwänzte. Scott musste sich immer wieder für die anderen prügeln. Größere Kinder stürzten sich oft zuerst auf ihn und piesackten ihn, weil er der Kleinste war. Aber das bereuten sie schnell, denn er war ausgesprochen bösartig. Während er anderen Angst einflößte, stärkte er seinen Freunden immer den Rücken. Jemanden wie ihn machte man sich besser nicht zum Feind.
Als sie so durch die Industriebrache rannten, beobachteten sie, wie der Junge, den sie hetzten, in einem verlassenen Fabrikgebäude Zuflucht suchte. Scott blieb stehen und die anderen holten ihn nach und nach ein. Die Wände des Gebäudes bestanden aus großen, grauen Klötzen, die unteren mit Moos bedeckt. Hie und da hatte sich abgeblätterter Putz in staubigen Haufen angesammelt und der helle Betonboden reflektierte die grellen Sonnenstrahlen, sodass die Jungen blinzeln mussten. Die Halle, durch die der andere Junge gelaufen war, hatte keine Tür mehr. Der hölzerne Türrahmen war morsch und teilweise zersplittert.
»Der sitzt in der Falle«, sagte Scott. »Die Hintertür ist nämlich blockiert.«
Shaun sah nervös Jamo an, der neben ihm stand. Keiner von beiden wollte etwas sagen.
»NI-GEL!«, rief Jamo. Shaun und Jon stimmten halbherzig mit ein und Scott lachte.
Scott lief zum Eingang des Betonbaus und die anderen drei folgten ihm. Jamo rief immer noch laut Nigels Namen. Im Innern des Gebäudes war es viel dunkler als draußen. Es fielen nur ein paar Sonnenstrahlen durch das löchrige Dach ein und erzeugten Lichtflecken auf dem Boden. Entlang der Wände waren Trümmerhaufen erkennbar. Shaun blinzelte, während seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Zuerst konnte er niemanden sehen außer seinen Freunden. Er fragte sich, ob es doch noch einen zweiten Ausgang gab oder ob sie sich vielleicht geirrt hatten und der ältere Junge sich gar nicht in dieses Gebäude geflüchtet hatte.
Er hoffte, der Junge hätte doch einen anderen Ausgang gefunden, aber dann sah er hinter einem Trümmerhaufen am anderen Ende der Halle die Umrisse eines Menschen. Er meinte, ein leises Wimmern zu hören, aber keiner von den anderen schien etwas zu bemerken. Jamo rief immer noch in spöttischem Ton: »Niii-gel!«
Shaun fragte sich, ob außer ihm wirklich niemand den huschenden Schemen gesehen hatte. Er sagte aber nichts und alle suchten weiter. Scott, der im von der Tür her einfallenden Licht nur teilweise zu sehen war, verzog sein Gesicht zu einer bösen Fratze, während er eine Ecke nach der anderen untersuchte.
»Sieht ihn jemand?«
Shaun
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