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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
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nicht zu besiedeln und landwirtschaftlich zu nutzen gewesen. Die Hauptröhre, gleichsam das Brunnenrohr, kann Herakles herausgerissen und mit einem großen Stein im weichen Boden zugedeckt haben. Vielleicht verursachten die Lehmgrabungen der Ziegelei überhaupt erst den Austritt der giftigen Wässer. Die Talbewohner hatten jedenfalls keine Vorstellung, worum es sich gehandelt haben könnte. Aber um Wasser auf jeden Fall, daher der Name Hydra.
    Die dritte Aufgabe klingt fast zeitgemäß, denn es ging um die Abwehr von Wildschäden auf den Fluren. Repräsentiert wurden diese durch die kerynitische Hirschkuh. Sie verwüstete die Fluren des lieblichen Arkadiens. Schon um ihre Herkunft rankten sich unterschiedliche Legenden. Einer zufolge soll sie von Artemis, der Göttin der Jagd, am Leben gelassen worden sein, nachdem diese bereits vier andere erlegt hatte. Einer anderen Legende zufolge war sie eine Geliebte des Zeus, die von Artemis aus Rache in die Hirschkuh verwandelt worden war. Sie trug goldene Hufe, ein goldenes Geweih und lief schneller, als die Pfeile flogen, die auf sie abgeschossen wurden. Herakles jagte ihr lange nach, mehr als ein Jahr, bis er sie fangen konnte. Auch dazu gibt es zwei verschiedene Versionen. Die eine besagt, dass er sie im Schlaf überraschte und mit einem Netz fing, die andere, dass er ihr einen Pfeil durch beide Vorderbeine schoss, so dass sie nicht mehr davonlaufen konnte. Solcherart gefesselt, brachte er die Hirschkuh zu Eurystheus, dem sie wieder entsprang, da er sich zu ungeschickt anstellte. Damit war die Aufgabe erfüllt und die Göttin Artemis wieder besänftigt, weil ihrer Hirschkuh nichts geschehen war.
    Wildschäden auf den Fluren waren also schon in der frühen Antike ein Problem. Die flinken, scheuen Hirsche mit Pfeil und Bogen zu jagen brachte zwar immer wieder das begehrte Wildbret, verminderte jedoch die Schäden nicht, da die Bauern weder über entsprechend gute Bögen verfügten noch im Bogenschießen ausgebildet waren. Die Jagd war zudem, zumindest zum Teil, ein Privileg der Götter und der Oberschicht. Das ihnen allein zustehende Wild der ›Hohen Jagd‹, wie es nach deutscher Jagdtradition genannt wird, stand auch unter ihrem Schutz. Um diesen zu bekräftigen, gehörten bestimmte Tiere direkt Artemis, der Göttin der Jagd. Die Römer übernahmen diese Regelung und ersetzten Artemis durch Diana. Die fruchtbaren Felder Arkadiens zogen Wildtiere an, ähnlich wie unsere heutigen Fluren. Was die Menschen anbauten, war und ist nahrhafter als die meisten von Natur aus wachsenden Pflanzen. Hirsche sind keine Tiere dichter Wälder. Die anhaltenden Nachstellungen trieben sie in den Schutz des Waldes, nicht ihre Hirschnatur. Sie verlassen die Deckung, wenn es für die Menschen mit ihren im Helligkeitssehen viel schwächeren Augen zu dunkel geworden ist, und verlegen einen Großteil ihrer Nahrungsaufnahme in die schützenden Nachtstunden. Wo das Wild nicht mehr bejagt wird, kehrt es zum normalen Leben zurück und wird wieder weitgehend tagaktiv.
    Vieles spricht dafür, dass der Fang der Hirschkuh mit dem Netz und die Durchbohrung ihrer Läufe zusammengehörten und gar keine unterschiedlichen Versionen der Geschichte darstellten. Denn ist das Rotwild erst einmal scheu geworden, hätte ein Bogenschütze, auch ein sehr guter, kaum Chancen gehabt, zum Erfolg zu kommen. Die Fluchtdistanz wird zu groß. Hirsche sehen nicht nur sehr gut, sie haben auch ein feines Gehör und sie wittern die Menschen auf große Entfernungen, wenn der Wind nicht gerade sehr ungünstig weht. Die höfische Jagd von Mittelalter und früher Neuzeit fing daher die Hirsche ebenfalls mit Netzen, wenn diese nicht, wie zumeist üblich, bei groß angelegten Treibjagden erlegt wurden. Herakles benutzte offenbar das Fangnetz und durchschnitt dann die Läufe so zwischen Knochen und Sehne, dass das Tier daran aufgehängt und getragen werden konnte. Diese Methode, größere Wildtiere zu tragen, wird auch gegenwärtig noch in Afrika angewandt. Die mit einem Pfeil »durchschossenen« Vorderläufe ergänzen somit den vorherigen Netzfang. Gleichzeitig verhindert diese Methode, dass sich die Hirschkuh mit Schlägen ihrer scharfkantigen, spitzen Hufe verteidigt. Diese Schläge sind viel gefährlicher als das Geweih. Das Rotwild setzt Hufschläge natürlicherweise zur Verteidigung ein, auch gegen Raubtiere. Sogar das Entspringen erscheint nicht unrealistisch. Denn der Schnitt zwischen Sehne und Knochen am unteren Teil des Laufes

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