Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
Bestimmungsschwierigkeiten, sondern wegen der Artenfülle und der nicht selten sehr bezeichnenden Verhaltensweisen, mit denen die Vögel dargestellt werden. So gibt es über dem von Papyrusstauden durchsetzten Wasser rüttelnde Graufischer ( Ceryle rudis ) und durch die wellenartige Befiederung an den Wangen bezeichnete europäische Eisvögel ( Alcedo atthis ), Weißbrustkormorane ( Phalacrocorax lucidus ), Rallenreiher ( Ardeola ralloides ), sogar weißköpfige Schreiseeadler ( Haliaaetus vocifer ), mehrere, klar unterscheidbare Arten von Schwalben und so fort. Oft und unverwechselbar dargestellt wurde auch der Wiedehopf ( Upupa epops ). Die von Joachim Boessneck und Angela von den Driesch vorgenommene Auswertung der Funde von Vogelknochen erhärten und belegen die Bestimmungen, die anhand der Abbildungen gemacht worden waren. Aber mit Abstand am bedeutungsvollsten waren für die Alten Ägypter zweifellos die Enten, Gänse und Kraniche. Stockenten ( Anas platyrhynchos) , Spießenten ( Anas acuta ), Brandgänse ( Tadorna tadorna ), Rostgänse ( Tadorna ferruginea ), Nilgänse ( Alopochen aegyptiacus ) und in großer Zahl »echte Gänse«, nämlich Grau- ( Anser anser ), Bläss- ( A. albifrons ) und Saatgänse ( A. fabalis ) sowie domestizierte Grau-, also Hausgänse, sind am häufigsten vertreten. Zahlreiche Darstellungen zeigen die Jagd auf die Wasservögel mit Netzen, Schlagfallen, Lockenten und Pfeilen. Die Mengen der Vogelknochen geben eine ökologisch ganz passende Vorstellung von der relativen Häufigkeit der verschiedenen Arten. Boessneck (1988) listet allein 80 verschiedene Vogelarten von nur zwei Fundstellen auf. Insgesamt sind mehr als 100 Arten nachgewiesen, die nicht zu den Singvögeln gehören, und damit nicht nur alle, die gegenwärtig noch in Ägypten vorkommen, sondern auch solche, die es dort nicht mehr gibt. Lediglich die beträchtliche Zahl der Kleinvögel (Singvögel) ist unzureichend repräsentiert.
Die genauere Betrachtung des Artenspektrums deckt aufschlussreiche Befunde auf. Erstens sind sehr viele Wasser- und Ufervogelarten vorhanden, die zur afrikanischen Vogelwelt gehören. Man kann diese Arten gegenwärtig in Ostafrika beobachten. Zweitens sind die aus Europa als Wintergäste zum Nil, vornehmlich ins Delta, geflogenen Wasservögel umfangreich vertreten. Dabei überrascht, dass auch hochnordische Gänse, wie die Saat- und Blässgänse, damals so weit in den Süden zogen. Doch das deckt sich mit den Grauen Kranichen ( Grus grus ) und den Jungfernkranichen ( Anthropoides virgo ) sowie mit den in großer Zahl nachzuweisenden Enten. Unter diesen ließen sich sogar in beträchtlicher Menge Tauchenten der Gattung Aythya , nämlich Reiher- ( A. fuligula ), Tafel- ( A. ferina ), Berg- ( A. marila ) und Moorenten ( A. nyroca ) nachweisen.
Fast vollständig vertreten sind die großen Stelzvögel, also Störche, Reiher, Ibisse und Kraniche sowie die am Wasser jagenden Greifvögel Seeadler ( Haliaaetus albicilla ) aus Europa, der schon angeführte afrikanische Schreiseeadler, der Fischadler ( Pandion haliaetus ) und der Schwarzmilan ( Milvus migrans ), der allerdings auch im Kulturland und Siedlungsbereich vorkommt, wo er nach Abfällen sucht.
Hieraus ergibt sich eine bemerkenswerte ökologische Aussage: Der untere Nil und sein Delta waren zur Zeit der Alten Ägypter sehr nahrungsreich. Es gab pflanzliche Nahrung, die nicht den angebauten Nutzpflanzen zuzurechnen war, in so großer Menge, dass nordische Gänse und Kraniche an den Nil flogen. Die Gewässer waren aber auch so fischreich, dass das gesamte Spektrum der Fischjäger von den großen Adlern und Reihern bis zu den kleinen Eisvögeln vertreten war. Da der Nil auf seinem Weg vom Sudan nach Unterägypten über Hunderte von Kilometern nahezu keine organischen Reststoffe mehr aufnimmt und solche auch aus den Quellgebieten kaum abtransportiert werden, muss die für die Entfaltung eines großen Fischreichtums notwendige organische Nahrung von den Ägyptern selbst gekommen sein. Ihre häuslichen Abwässer düngten den Fluss. Die organischen Reststoffe, die von Bakterien und Pilzen abgebaut werden, verarbeiten zunächst die Kleintiere des Bodenschlamms, nämlich Würmer verschiedener Gruppen, Muscheln und die Larven von Wasserinsekten. Von diesen ernähren sich die Fische. Große Raubfische fressen kleinere. So kommt eine lange, doppelte, gleichwohl aber produktive Nahrungskette zustande:
Organische Reststoffe (Detritus) – Kleintiere am
Weitere Kostenlose Bücher