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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Blut, sie darin eingesperrt, sie, eine Mischung aus Eindringlingen und Nomaden, aus Mördern und Menschenfressern.
    Sag ihnen, sie sollen jetzt nach Hause gehen. Dachte ich.
    Doch es ging noch weiter. Die Bilder gingen aus, aber der Meister ließ seine Assistentin hinter einen Vorhang gehen. Der Vorhang fiel, auf dem Tisch lagen Kassettenrecorder und andere elektrische Geräte. Es gab noch keinen Strom für alle, aber die Dinge erregten großes Interesse. Der Meister sagte, sie könnten im Voraus kaufen, was man hat, hat man, sagte er auf Spanisch und tat schon beleidigt, als sich keine Hand rührte. Die Dinge waren wohl gebraucht, aber sie glänzten doch. Und dann wurden noch aufheizbare Bettdecken gezeigt. Er konnte die Sachen leider nicht vorführen, aber mit Händen und Füßen erklären. Er machte ihnen vor, was für ein Segen eine aufheizbare Bettdecke war und sein würde.
    Und der Rasenmäher? Wo war das Gras?
    Es war alles ganz wie zu Hause. Das war mein Hauptsatz geworden, der sich in meinem Menschentiergehirn nach vorne schob auf die Neuronenplatte meiner Muttermalexistenz, die von keinem anderen Trost wusste als diesem, dass es keinen Trost gab, und jenem vielleicht, dass meine Hoffnung nicht umsonst wäre, dass es einmal aus wäre mit allem.
    Warum war er hierhergefahren?
     
    Ich wollte auf der Stelle weg von hier. Wollte heim. Diesmal, wenn möglich, ins Nirwana oder in ein anderes Niemandsland, anderes Ende der Welt. Auch mir war es mit Pico Grande zu viel geworden, auch wegen dieser Leute, die auch nicht schlimmer waren als ich.
     
    Als alles vorbei war, wurde ich durch Rosa noch dem Maestro vorgestellt. Ich wurde ihm gezeigt. Ich sollte mich mit ihm über Europa und Afrika unterhalten, über unsere Gemeinsamkeiten und alles, was wir gesehen hatten. Er war zweifellos ein gebildeter Mensch, seine Assistentin auch, weit gereist, etwas Besonderes, ich gab Rosa recht. Er und ich, wir waren die Einzigen, die etwas gesehen hatten von der Welt, die Mammutzähne, Schrumpfköpfe, Buschneger, Tigermäuler, Menschenfresser, alles. Doch bald merkte ich, dass es andere Buschneger, Mammutzähne, Schrumpfköpfe, Tigermäuler und Menschenfresser waren als meine.
    »Übermorgen geht er zurück nach Europa!«, warf Rosa ein.
    »Übermorgen geht es zurück nach Europa«, wiederholte er.
    Sagte mir, dass er jetzt müde sei und ins Hotel müsse. Nichts hatte er verkauft. Ich hätte Mitleid gehabt mit so einem, hätte ihn auf einen Mendoza eingeladen. Aber er zog sich zurück, formvollendet wie nur ein Herr von Welt am Ende eines langen Lebens.
     
Ich sagte Adiós
     
    und was man sonst noch so sagt, wenn man nicht weiß, was man sagen soll. Meine Verwandten standen noch einmal wie Spalierobst, ich war auch ihnen nicht näher gekommen, hätte schon auf ihnen liegen müssen. Und ich winkte und weinte nicht, als ich mit Rosa hinausfuhr, erst von der Estancia, dann aus dem Tal von Pico Grande und dann auch schon wieder die Schafe links und rechts. Rosa brachte mich zum Nachtbus nach Esquel, und auf dieser vierstündigen Fahrt stellte sich heraus, dass wir uns nie verstanden hatten, und es fehlte nicht viel, und ich hätte diesen Filmsatz auch noch von mir gegeben, als wäre er gar nicht von mir. Wir, wir wussten gar nicht mehr, was wir noch miteinander reden sollten, hätten reden sollen. Es, es war wie bei einem Ehepaar, nachdem der erste Rausch vorbei ist, und nun hätten die Mühen der Ebenen vor uns gelegen, da waren wir zum Glück in Esquel. Dort aßen wir noch ein Eis und versicherten uns, dass es schön gewesen und dass wir kaum glauben konnten, wie schnell die Zeit vergangen war, tatsächlich, in der Nacht vor meiner Abreise hatte es zum ersten Mal geschneit.
     
»Erfüllt von dir nur und von nichts begnügt«
     
    Ich stand schon an einem der Busbahnhöfe irgendwo in der Provinz und hatte Rosa und Pico Grande schon Adiós gesagt, saß irgendwie »erfüllt von dir nur und von nichts begnügt« wieder einmal zum Umsteigen, auf dem Weg nach Buenos Aires, nach Hause.
     
    Da sah ich noch eine Dicke, wie sie an der Peripherie meines Weges saß. Sie hatte wohl nicht immer etwas Richtiges zu essen. Hier hungerte man nicht wie anderswo. Ein Stück Fleisch gab es immer. Auch Freunde, aber alles immer sehr einseitig. Die Armut, ihre Armut. Ich sah, sie hatte abgenagte Fingernägel. Nicht unbedingt ein Zeichen von Hunger, aber ein aufgewühlter Mensch.
    Da entdeckte ich zwischen diesen Bussen, Kisten, Plastikkoffern und

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