Einmal auf der Welt. Und dann so
immer noch wissen, was mit Caro, Gigi und vor allem Frederic jetzt war. Und was mit mir war und werden würde.
Gewiss wollte ich damals auch noch die Welt retten, das habe ich immer gewollt, doch der Geist war immer williger als mein Fleisch, das dalag und liegen blieb, während Frau Armbruster am Samstagmorgen schon um zehn alles durchgeputzt hatte, waren bei mir immer noch die Rollläden unten. Ja, es war eher ein frommer Wunsch, die Welt zu retten, der mich ehrte. Und auch, dass ich mich retten wollte, dass ich nicht mit mir einverstanden war, das ehrte mich doch. Oder nicht?
Meine diffusen Anstrengungen richteten sich also einerseits ganz auf hier, andererseits ganz auf dort aus. Das Ergebnis insgesamt, die Summe war so dürftig, dass ich sie vergessen habe.
Mich retten - dazu musste ich möglichst weit weg vom Himmelreich und mir. Und auch von der Welt mit ihren Experten und Fehldiagnosen. Ich musste ans andere Ende der Welt meiner selbst. Ich sah, dass ich, um mich zu retten, weg von mir musste, dass ich mich verlassen musste, weg von so einem Menschen wie mir. Ich habe es versucht.
Auch war ich fromm, aber ich wusste nicht, dass dies nichts mit Theologie zu schaffen hatte, weil ich auch ein wenig dumm war. Weil ich wohl ganz schön dumm war. Dazu mit dem Ehrgeiz eines Kindes ausstaffiert, das in den Himmel kommen wollte.
Die Fahrt nach Rom war wie eine Fahrt ins Blaue. Eines Morgens fuhren wir (ich war nämlich nicht der Einzige) los, eines Morgens kamen wir an. Unsere Nonnen wiesen uns unsere Zimmer zu. Das Leben als zukünftiger Priester konnte beginnen.
Was aus den drei anderen geworden ist, weiß ich nicht. Ich habe sie aus den Augen verloren. Möglicherweise endeten sie als Priester? Vielleicht beten sie nun für mich. Das zumindest haben wir uns damals doch versprochen, dass wir füreinander beten?
»Die Aufklärung hat den Himmel verdunkelt!« Mit diesem Satz von Heidegger (ich glaube, er war von Heidegger) wurde ich vom Direktor des Päpstlichen Kollegiums auf Deutsch begrüßt. Mir zu Ehren begrüßte er mich mit einem Heideggerwort, denn aus den Unterlagen wusste er, dass ich aus der Heideggerstadt Meßkirch stammte. »Seid Ihr mit dem Denker verwandt?«, fragte er in seinem altertümlichkirchlichen Deutsch. »Gewiss!«, antwortete ich ihm. »Wir sind alle mit ihm verwandt!«, entgegnete ich, worauf er sich vor mir verneigte.
Der Zufall wollte es auch, dass der größte Denker seit Piaton (wie in der Bunten zu lesen stand) ausgerechnet während meiner römischen Zeit verschied, ich greife vor.
Franz Sales, der nichts um mich herum leiden mochte, selbst noch auf meinen entfernten alten Verwandten eifersüchtig war, war damals in mein Zimmer (von dem aus ich die halbe Ewige Stadt überblicken konnte. Wie oft habe ich, allein, zu diesen zwei Fenstern hinausgeschaut!) geplatzt, um mir den Tod Heideggers zu melden: Er hatte es in den Abendnachrichten von Rai Uno vom 26. 5.1976 erfahren und hatte sich allein deswegen von seinem Chauffeur zu mir auf den Aventin heraufbringen lassen. Er hatte eigens dafür die von uns scherzhaft so genannte »Tunica Praetextata« (die »verbrämte Toga«), das feinste Ausgehgewand des höheren römischen Prälaten, übergestreift. So stand er vor mir, ganz euphorisch. Vor lauter Freude wechselte er von der einen Sprache in die andere, gab mir in allen Weltsprachen die Nachricht des Tages bekannt: Lateinisch, Mandarin-Chinesisch, Sanskrit, Arabisch, Hochdeutsch, in seinem niederösterreichischen Dialekt, Französisch, Italienisch und so weiter: »Heidegger ist tot!«, trumpfte er auf: »Dood issa! Mortuus est! Ii filosofo e morto!« Ja, er versuchte es sogar auf Holländisch - ich habe es vergessen. Und er äffte den Heiligen Vater nach, wie er von seiner Sedia herunter verkündete: »Ich sage euch, der Herr ist wahrhaft auferstanden!« In dem weinerlichen Tonfall des Papstes (mit dem er auch noch die angeblich höchste Freude verkündigte) plärrte Franz Sales: »Omnibus dico: Heidegger vere mortuus est!«, und er machte Anstalten, mich zu segnen ... Ich aber weinte und warf ihn hinaus. Ich weinte, denn ich glaubte oder wusste, dass nicht nur ein entfernter, merkwürdiger Onkel gestorben war, sondern dass nun etwas zu Ende war. Ich nahm Sein und Zeit § 48 und las über »Ausstand, Ende und Ganzheit«. Ich nahm die Cointreau-Flasche und kippte das Zeug in mich hinein und las und soff bis zuletzt ... denn ich glaubte, dass ich nun etwas für immer verloren
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