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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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als ob wir Hunger hätten. Wir bissen uns aber nicht ab. Wir spielten nur, wie kleine Katzen spielen, mit sich und ihrer Maus spielen. Wir nahmen uns nur zwischen die Zähne und verschluckten uns nicht. Wir hatten ein Ziel. Unser Ziel war anzukommen. Tief. In der Tiefe.
    Doch wie oft waren wir auf dem Weg dahin schon gestrauchelt. Da nahmen wir unser Handtuch von gestern und wischten uns unsere Liebe vom Bauch. Es war auf der Höhe des Bauchnabels, der die Verbindung zur Welt einst hergestellt hatte, und wir schliefen schon wieder ein.

Drittes Buch: Mein Hund, meine Sau, mein
    Der Auswanderer blieb fort, und ich kehrte aus Südamerika zurück, und kein Feuer und keine Kohle brannte so heiß wie der Tod, der mir in Aussicht gestellt ist und war und blieb, und wie die Liebe, die stärker war als er.
    Doch ich hatte während meiner - es waren ja nur eine Handvoll Wochen, die, wie das Leben, so ganz anders geworden waren als erdacht oder erträumt, keinerlei Todessymptome, wie von Dr. Schwellinger und Frau Dr. Methfessel prophezeit, an mir bemerkt, außer jenen, die ich immer schon hatte, eher bei den anderen, selbst bei den Bäumen. Dazu kam der Tod selbst, und wir »waren überall lachend die Seinen«.
    Dort abreisend war es Herbst, die Pappeln standen bald leuchtend gelb die Wasserläufe entlang auf dem Weg zum Flughafen, und baumlos selbst die kleinsten Erhebungen, welche für einen hellen Himmel sorgten, der über allem lag, und ich war eine einzige Elegie.
    Wie hasste ich, außer dem Wind, das verdunkelnde rabenschwarze Grün auf der Höhe des unbarmherzigen Juni, und wie liebte ich den Himmel um Mariae Lichtmess herum, Tage voll des Lichts, und sonst nichts, wo ich atmen und sehen konnte bis zu jenem Blau als Grenze, nein als Verbindung, und in der Nacht, wie liebte ich sie!, gab es zwischen den Sternen und mir, der Milchstraße und mir, keinerlei Grenze, und ich dachte manches Mal auf dem Nachhauseweg, mit Erika Burkart im Kopf, auf meiner Dorfstraße unterwegs, und sah, wie sich die »Milchstraße mit der Dorfstraße kreuzte«, ja, ich dachte, selbst ein Weltraumkörper, ein Stern zu sein, mitzufliegen, und alles war gut.
    Der Brief an Onkel, der meine Ankunft meldete, lag da: »Zurück an Absender, fallecido«,... ich ich, ich wusste nun, was das hieß, und noch einmal zerriss es mich vor Schmerz, dass es mich nicht vor Schmerz zerriss.
    Unter diesem Eindruck des drängenden Todes hatte ich in Pico Grande meine letzte, letztwillige Verfügung formuliert, mit dem Blick auf die Anden in die eine Richtung, und in die andere auf mein Ende. Ich hätte nun mein Testament lesen können, das vor allem aus letzten Gedanken bestand, aus »Glaubst-du-an-den-Tod-Sätzen«, weiß noch, weiß noch, und unlösbaren Wünschen, was die Zukunft des Hauses mit dem Schmerz als Grundriß betraf, Zumutungen hinsichtlich der Gestaltung der Trauerfeier, Wahl der Lage des Grabes, der Musik und der Gäste, die ich dabeihaben wollte, alles eine Peinlichkeit - und dazu recht unverfroren, denn zu vererben - wenigstens etwas, das dieses Wort verdiente - gab es nichts.
     
    Im Flugzeug sitzend war es mir dann doch sehr recht, nicht abzustürzen. Im Flugzeug oder sonst einem Verkehrsmittel hatte ich immer Angst davor, nicht im Bett zu sterben, und lag ich zu Hause in meinem Bett, so war mir klar, dass so ein Tod im Bett nichts Ruhmreiches an sich hat. Und in Amsterdam Schiphol gelandet, war ich dann doch wieder irgendwie glücklich, nicht als Held gestorben, in tausend Teile zerrissen, abgestürzt und in den S/W-Zeitungen dieser Welt gelandet zu sein, sondern in Amsterdam, und noch einmal, wieder einmal davongekommen zu sein. Und mir schwante wieder einmal, dass es nichts Ruhmreiches war, zu sterben.
     
    So viel Post war es nicht.
    Es kamen Mahnungen, Rechnungen und ein Brief von der Raiffeisenbank, von Bantle, wie hätte es anders sein können.
    Als ich nun wieder im Himmelreich war, sagte man mir, dass die Kreuzlinger Tante schon begraben sei. Nicht ich, dessen Tod unterschwellig mitgereist war, sondern die Kreuzlinger Tante.
    Das musste, wie ich ausrechnete, genau in jener Nacht gewesen sein, da ich wieder einmal alle heimatlosen Erektionen mit einem »Gewitter der Lust« (Entschuldigung, ich wollte kein Enzensbergergedicht zitieren) beendete; und die es nicht besser wussten, sagten »Liebe« dazu, ja, es herrschte eine große Gleichzeitigkeit auf der Welt, und einer hätte schon Gott sein müssen, um alles zu verstehen. Daher sagten die

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