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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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wir als Wallfahrt zu opfern) - wäre schon ganz zu Beginn gescheitert. Der Defensor fidei (Verteidiger des Glaubens) fuhr uns auf dem Traktor davon, trug ein Kopftuch und Gummistiefel und hatte eine Handtasche bei sich. Ich habe nie erfahren, was in ihr war.
    Wir beteten Psalmen in unserem Zorn, wir weinten, weil der Gerechte so hilflos war und wir nicht einschreiten konnten gegen diese Usurpatorin, weil uns dieser Satan einfach mit einem Traktor davonfuhr, während unsere Hände gebunden waren. Franz Sales kippte um, schlug mit den Fäusten gegen diesen Boden, ohnmächtig, weil das Böse herrscht, wie er wusste. So lag er ausgestreckt im Gras, und ich, hilf- und hoffnungslos, stand wieder einmal allein auf der Welt. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich über ihn zu beugen, Franz Sales die Stirn abzutupfen und abzuwarten, ob er nun sterben würde oder nicht. Der Traktor war einfach davongefahren, er musste den Zusammenbruch doch noch im Rückspiegel gesehen haben, umsonst. Obernosterer atmete schwer, kalter Schweiß rann ihm aus seinen Schweißzentren, ich fürchtete, er würde an dieser Stelle ins Gras beißen, wie die Redensart dafür lautete. Eine ganze Zeit lag er mit offenem Mund ohnmächtig auf dem Boden, ein furchtbares Bild, dann aber kam er wieder zu sich, wie man sagt, zu sich, so gut dies bei Franz Sales eben möglich war. Er hatte es ja auf dem Herz und ich weiß nicht, wo. Ihm fehlte ja viel, wenn nicht alles, außer dem Glauben vielleicht. Wir reisten als Diplomaten; so waren wir überhaupt erst ins Sperrgebiet von Balmoral gekommen. »Es geht wieder!«, meinte Franz Sales. Er hatte sein Zuckerchen aus der Hosentasche genommen und unter heftigen oralen Automatismen sich einverleibt, der Zusammenbruch war ja auch ein sogenannter Unterzuckerungsschock, so erklärte ihn sich Franz Sales selbst. Das war auch sonst schon vorgekommen, von da führte er immer ein paar Zuckerstücke in seiner Gewandtasche mit sich.
    Jetzt mussten wir nur noch das Gebiss finden, das ich ihm aus Furcht, er könnte ersticken, ganz schnell und, da unter Schock, ganz ohne Ekel herausgenommen hatte, und nun irgendwo im Gras lag.
    Es blieb uns gar nichts anderes übrig, als vorerst zurückzufahren, und das taten wir auch. Immerhin hatten wir das Objekt unseres Vorhabens zu Gesicht bekommen und wussten nun auch, dass es für unsereins gar nicht so schwierig sein würde, sich des Defensor fidei zu bemächtigen. Eine Nacht mussten wir noch in Schottland bleiben. Wir teilten übrigens nun zum ersten Mal ein Zimmer. Ich sah dabei, und staunte, dass Franz Sales eben keine geistliche Unterwäsche, sondern eine Art getigerte Badehose trug, eine Art Stringtanga. Ganz dick und natürlich bewegte er sich darin, als ob nichts wäre, er ging herum so wie die Dicken am Nacktbadestrand in einer Erscheinungsform natürlicher Schamlosigkeit, warum nicht!
    Schlimmer war, dass er, wie man sich denken kann, auch noch schnarchte.
    Was uns am Defensor fidei so sehr empörte, war der Umstand, dass diese Existenz, die doch offensichtlich auf einer Lüge gründete, dennoch allgemein anerkannt, gar bewundert wurde. Was uns damals, damals ... empörte, war, dass niemand die Wahrheit wissen wollte - ein Rätsel, ein Geheimnis, das uns in unserem Glauben, dass hier der Satan am Werk sei, nur bestätigte. Keinen interessierte es anscheinend, dass sich dieses - einstige -Imperium auf Menschenfresserei gründete. Der Urvater dieser feinen Bande war doch ein Menschenfresser, Heinrich VIII., man hätte alles in den Geheimarchiven des Vatikans nachlesen können. Als ob es nicht genug gewesen wäre, dass dieser Kerl so viele Prinzessinnen geheiratet hat, um sie zu töten. Jetzt erfuhr ich auch noch, dass er sie gefressen hat; und zwar, was den Fall vollkommen absurd macht, als tote, so wie die Geier lebte er vom toten Fleisch seiner Königinnen und hat dafür auch noch eine Art Kühlschrank erfunden. In Verbindung mit dem Bösen fallen die Erfindungen nicht so schwer, ja, wir dürfen davon ausgehen, sagte Franz Sales, der sich auch als Satanologe einen Namen gemacht hat, dass die Erfindung des Kühlschranks auf eine Inkarnation Satans in Heinrich VIII. zurückgeht.
    Dies alles neben einem Essen im L'eau vive her. Franz Sales wollte sich vielleicht nur aufspielen vor mir, wollte mir auch einmal imponieren, wusste genau, dass wir über unseren gemeinsamen, uns verbindenden, in unserer Liebe zu Rom, dem Heiligen Vater begründeten Hass gegen alles Englische und

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