Einmal auf der Welt. Und dann so
die Mystikerin aus Garsten? Hatte sich von ihr nicht schon Pius IX. Rat einholen lassen, als es um die Unfehlbarkeit ging? War es nicht zu erotisch-mystischen Exzessen gekommen? Hatte sie nicht mit zwei Redemptoristenpatres »zur Sühne für die Sünden der Welt« geschlafen - ein geistliches Sandwich, das als »Geheimnis im Geheimnis« in die Geschichte der Sündenmystik einging?
Franz Sales lief zu seinem Vogelkäfig, er grimassierte. Damit war diese Geschichte zu Ende.
Auch ich hatte an so etwas gedacht, um mein geistliches Ziel nach Möglichkeit noch zu steigern, diese Möglichkeit aber dann doch wieder verworfen. Ich konnte ja mit dem fehlenden Geld nicht unbedingt kommen, ich hätte ja ganz auf das Modell der Sündenmystik zurückgreifen müssen. Ich hätte ja meinen Wagen als Arbeitsfahrzeug einsetzen können? Auch im Winter, denn die Heizung funktionierte, im Gegensatz zu den Heizungen in den römischen Häusern. Und im Sommer draußen bei Ostia? Aber ich war doch keine Hure oder dergleichen; und nicht einmal homosexuell: Ich war ja nicht homosexuell, ein Umstand, der allerdings wieder den Opfergedanken gesteigert hätte, ihm zugutegekommen wäre. Nicht homosexuell, ein Wort, das aus dem neunzehnten Jahrhundert stammte, ein Sammelbegriff, der, auf mich angewandt, keinen Sinn ergab.
»Homosexuell« - totalitäre Formulierungen erschreckten mich. Die Sprache schüchterte mich ein. Sie ging über Leichen. Die Sprache war meine erste Fremdsprache.
Es war ohnehin eine Krisenzeit, in die ich bei Franz Sales hineinplatzte. Denn er (mir hatte er sein Herz geöffnet) musste nun auch noch mit Drohbriefen leben, in denen stand, dass durch Enthüllungen, die ihn, Franz Sales, betrafen, der Vatikan einstürzen könnte. Das arme Schwein!, dachte ich wieder einmal, überschätzt sich, aber auch seine Sünden. Immerhin musste er schon einen Imbissstand gleich an der Vatikanmauer linker Hand, wenn ich von der Via della Conciliazione herkommend vor den Berninisäulen stand, finanzieren. Vielleicht war's die erste richtige Imbissbude Roms. Der Inhaber, ein Sizilianer, hatte lange in Deutschland gelebt, gelegentlich Franz Sales empfangen, beichtete er mir. »Dieser Imbissstand ruiniert mich!«, habe ich Franz Sales oftmals vor sich hin sagen hören, selbstvergessen, »dieser Imbissstand frisst mich auf!« Immer wieder lag der Imbissstand an seinem Weg nach Hause, aber auch an meinem.
Ach, zu allem wurden wir auch noch vollkommen falsch ernährt in Rom. Dies gerade im Blick auf unser geistliches Ziel. Die falsche Ernährung muss ich doch auch mitverantwortlich machen dafür, dass ich gescheitert bin. Es waren ja nicht nur die Kalorien, das Gewicht auf der Waage, von diesem Übergewicht in den päpstlichen Häusern Roms will ich gleich gar nicht reden. Ach, unsere Nonnen wussten ja nichts von Hormonspiegel und Geilheit, nichts von der Geilheit, die über die Speisen in den Leib kommt und, von den Speisen dirigiert, vielleicht gerade erst durch sie ausbricht. So wurden wir gefüttert, ganz kontraproduktiv im Blick auf unser geistliches Ziel, denn was wir so in uns hineinfraßen, waren Kalorien und Geilheit, die jeweils mühsam abgearbeitet werden mussten. Nur kein Salz! Niemals Sellerie! Und vor allem keine Eier! Von wegen Schweinefleisch! sagte schon damals eine weise Küchennonne in unserem kleinen Meßkircher Spital. Sie kannte die Folgen. In Rom mussten wir uns aber auch noch damit herumschlagen, als ob genug nicht genug gewesen wäre - und keine Stunde nach dem Mittagessen kam schon der Versucher, und wir mussten uns, kaum der Gegenwehr fähig, nach einer kurzen Zeit mit ihm ins Bett legen. So etwas ging schnell. Aber um die Nachtgespenster zu vertreiben, folgte nun der Schluck aus der Cointreau-Flasche. Nachschub war kein Problem, wir hatten ja mit unserem Ausweis Zugang zum Vatikan-Supermarkt. Dieser Berechtigungsschein für den Vatikan-Supermarkt, der mitzuverantworten hat, dass es im Vatikan nun das größte »Alkoholproblem« (ein Wort aus den USA, daher als Zitat) von ganz Rom gibt.
Kurz, mitten in Rom, war und blieb ich und wäre der einsamste Mensch geblieben. Rom war ein Apparat, der einen armen Menschen vernichten konnte.
Auf der Dachterrasse unseres Hauses (zwischen dem überfüllten Polenseminar und dem Lateran) auf und ab spazierend, mit einem geistlichen Buch, nehme ich an, sah ich dann auch noch jenes Liebespaar, ich, der ich nun so lange widersagt hatte. Nichts als Voyeur geworden, sah ich nun von
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