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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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aufgeregt sein - warum ich ausgerechnet in die Reisebranche dränge, fragte er mich. Mit dieser Frage, die ein Vorwurf war, mich überhaupt in Frage stellte, brach er ab.
    Warum ich ausgerechnet mit meinem, mit meinem, mit meinem Sprachfehler in die Reisebranche drängte, warum ich mich ausgerechnet darauf kaprizierte? Ich fände doch bald etwas und solle ihn bald besuchen.
    Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.
     
    Allein - ich fand so schnell nichts. Und von da an machte ich mich damit vertraut, dass ich mein Leben in naher Zukunft als Grabredner zu bestreiten haben würde. Von etwas musste ich ja leben. Ich war entsprechend vorgebildet, konnte schließlich etwas zu Leben und Tod sagen, zu Lebenden und Toten ...
    Als Summe meiner Überlegungen und Anstrengungen ergab sich zwangsläufig die Anfrage beim Friedhofsamt in der Colmarer Straße als Ideallösung. Und tatsächlich: Eines Morgens saß ich im Zimmer des Leiters des Städtischen Friedhofsamtes. Doch auch hier die alte Aufgeregtheit, von der Bernie, wie er sich bald wegen seines in der Reisebranche unbrauchbaren Namens Ehrenfried nennen ließ, gesprochen hatte, die nassen Hände, die ich unauffällig an meinen nassen Hosenoberschenkeln abzustreifen versuchte.
    Wie in alten Zeiten! Nur jetzt nicht mehr im Zimmer des Rektors der Gregoriana etc.
    Dieser beelendende kleine Unterschied war mir in jenem Augenblick - Gott sei Dank - nicht bewusst. Aber sonst war alles beim Alten, die Aufregung, ich.
    Ich bekam sofort eine Anstellung auf Widerruf, zumal ich auch mein vom Ortsbischof unterzeichnetes Führungszeugnis und eine Art Doktorhut, den Doctor Romanus, den ich aus Rom mitgebracht hatte, vorweisen konnte.
    Das ist also ein weiterer Ausschnitt aus meiner kleinen Passionsgeschichte. Die kleine Schwackenreuter Passion würde ich das Ganze nennen, wenn's ein spätgotisches Triptychon wäre.
    Aber es war keine Passion, und ich lehnte mich auf meine Weise nicht auf gegen das, was war, gewesen war, sein würde.
    Ich reagierte auf alles allein mit meiner Einsamkeit. Das ist, schlicht gesagt, die Wahrheit.
     
    Mein Beruf (Grabredner), meine Veranlagung (sexuell), mein Alter (alt), mein Status (ledig, ärmlich) und mein Charakter brachten es mit sich, dass dieser Abschnitt noch lächerlicher und trauriger gewesen sein dürfte. Nun hatte sich wieder, wie schon in Rom, die Einsamkeit (in Ermangelung des eigentlichen Wortes, die Einsamkeit, deren wahren Namen wir nicht kennen) hinzugesellt, hatte von mir schon wieder Besitz ergriffen, was bei mittellosen, für sich lebenden Menschen ohne Familie nicht außergewöhnlich ist.
    Eine Zeit lang versuchte ich mich ja an das zu halten, was Djuna Barnes' Vater gesagt hat: »Der Mann, der etwas auf sich hält, lebt allein.«
    Und doch brauchte ich, wie ein Zeitungs-, ein Los-, ein Würstchenverkäufer den Kontakt mit ihnen, den Würstchenverkäufern, Ärzten, Seelsorgern, Schauspielern ... auch noch als Grabredner, wo man ja mit den Lebenden nur über die Toten zusammenkommt.
    Man versucht, ihnen ein wenig vom lieben Toten zu erzählen, so gut es geht, man hat ja seine Stichworte bekommen, es ist von da ja nur ein kleiner Sprung ins Dichten.
    Diese Zeit nutze ich, ich kann reden, diese Zeit gehört mir, die Menschen müssen mir, wenigstens hier einmal, zuhören. Ich kann ihnen sagen, ja versichern, dass das Leben nichts wert ist, gleichzeitig auch, dass es schön war, ist und sein wird. Ab und zu schaue ich ihnen in die Augen, vom Sarg weg zu den Augen, von den Augen zum Himmel, metaphysische Augenblicke, der Mensch ist dafür anfällig, reagiert gar mit Tränen. Näher komme ich gar nicht zu ihnen, ich müsste schon auf ihnen liegen, und auch dann wären sie ganz weit weg von mir, dachte ich früher. Jetzt weiß ich: Dieses In-die-Augen ist ja schon fast mehr als Geschlechtsverkehr, ist schon der reinste Geschlechtsverkehr.
    Ab und zu treffe ich den Friedhofsgärtner, der eigentlich ein Totengräber ist, ein Beruf, den es offiziell gar nicht mehr gibt. Was sieht er schon! Ab und zu mich.
    Er sieht ausgesprochen gut aus, nicht ganz so alt wie ich und schon Totengräber. Er hat eine entsprechende Lehre hinter sich. Wie Uwe da mit seiner kleinen Aushubmaschine hantiert, mit der Stanze für die Urnen ...
    Wir treffen uns von Fall zu Fall im Krematorium, zufällig, ab und zu schaue ich auf dem Weg zur Arbeit kurz rein. Um elf Uhr morgens sitzen die Leute auch hier beim Elf-Uhr-Vesper, und ich soll neben ihnen Platz nehmen. Da

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