Einmal auf der Welt. Und dann so
zurück.
Einige sind auch weggezogen, so lange bin ich schon hier. Andere, denen ich mein halbes Leben erzählt hatte (in Barhockerhöhe), sind zum Schiffen gegangen und nicht wiedergekommen. Es gibt sogar Menschen, die haben sich meinetwegen für tot erklären lassen. Andere haben mir ausrichten lassen, ich sei gestorben (für sie). Andere sind gestorben (für mich). Einige sind tot.
Was bin ich für ein Mensch?
Im Supermarkt kaufe ich zwei Schnitzel, um zu vertuschen, dass ich allein am Tisch sitze; und auch mir selbst gegenüber vertusche ich es, indem ich beide Schnitzel esse.
Man geht zum Schiffen und kommt nicht wieder. Soll ich das jetzt auch so machen? Leute auf der Straße ansprechen, wie ich das in meinem Dale-Carnegie-Kurs gelernt habe, sie gnadenlos anlächeln, sie umlächeln und also abschleppen? Dann sitzen sie bei mir auf meiner Bettkante, in meiner nur aus Nebenzimmern bestehenden Wohnung. Kaum sitzen sie, erkläre ich ihnen, dass es sich hierbei (bei ihnen) um die wichtigste Begegnung meines Lebens handle. Ich gehe kurz hinaus und komme erst am nächsten Tag wieder. Bisher waren alle verschwunden.
Dann sitze ich wieder auf meinem Bett, fast neben mir, neben meiner Einsamkeit. Da finde ich mich in einem Gedicht wieder:
»Am Ende sagt
von zweien der eine noch:
Ich hab dich eingelebt in die Verlassenheit
Am Ende sagt
von zweien der andere noch:
Sieh, alles Nahe ist so weit, so weit.«
Vom Verschwinden
Es war kalt in Paris, sodass ich, ohne die Reise im Geringsten zu bedauern, schon am Montag wieder zurückfuhr. Außerdem juckte es wieder einmal in der Mitte meines Lebens.
Am Ende dieser Reise juckte es wieder einmal, und ich saß wieder einmal beim guten Dr. Kaiser, von dem ich niemals den Lieblingssatz vieler Mediziner beim Blick auf die sogenannten Werte »Sie leben zu gut« gehört hatte, und wartete auf das Ergebnis. Zwar glaubte ich, als Dr. Kaiser zwischendurch ins Wartezimmer schaute und dabei mich erblickte, gesehen zu haben, wie ihm ganz kurz das Gesicht verreckte, doch in Windeseile war schon wieder eine Zuversicht in dieses Gesicht hineingekommen, die mir sagte: »Du schaffst es schon!«
Denn nie wieder wollte ich mich von irgendwelchen Laborergebnissen zum Narren halten lassen. Und immer noch träumte ich davon, nie wieder von der Raiffeisenbank ein Schreiben zu bekommen: »Bitte legen Sie Ihre wirtschaftlichen Verhältnisse offen!« Und nie wieder eine Geschichte wie mit oder bei Frau Dr. Methfessel! Ich ließ mich nicht mehr narren von den Ergebnissen der Experten. Und ließ mir schon lange nicht mehr sagen »Sie leben zu gut!«. Ich suchte sie doch nur noch auf, wenn es mir wieder einmal besonders schlecht ging.
Das erste Ergebnis war negativ. Das war die gute Nachricht. Das zweite war positiv. Doch mit dieser zweiten, schlechten Nachricht konnte ich gut leben. Ich war längst routiniert, ja virtuos im Wegstecken von Infektionskrankheiten. Für so etwas gab es schließlich das gute Penicillin.
Jeanmarie war wieder einmal wie immer gewesen, ein wirres Geheimnis, schön anzusehen, schwarz und rot, ein Mensch, den ich immer wieder als Anhaltspunkt eines schöneren Lebens, das ich mit ihm nicht teilte, aufsuchte. Wir schwärmten von alten Fotos und Zeiten, jeder auf seine Art und jeder für sich. »Komm doch nach Paris!«, sagte er. Aber in Paris würde ich in meinen dünnen Kleidern erfrieren, und überhaupt ... »Ich bin viel unterwegs!«, entschuldigte ich mich, meine Lage vertuschend, ich, ein vertuschtes Unglück, ein nicht deklarierter Fall, ich habe eigentlich nichts. In Paris könnte ich mir nur ein Leben als Obdachloser leisten, er wusste ja nicht, dass ich als Grabredner (und dies auch noch nur bei Gelegenheit) lebte. Und ich weiß immer noch nicht, was Grabredner auf Französisch heißt. Er hielt mich wohl für einen Schriftsteller. »Ich sollte ihm aus der Welt der Literatur berichten!«, sagt er mir, wenn ich wörtlich übersetzen darf. »Welt der Literatur!« Materielles ist kein Thema in der zeitgenössischen Literatur. Den letzten Hungerroman in meiner Weltgegend hat Hamsun geschrieben, sagte ich damals artig, all seine Fragen beantwortend. Wir gingen ins selbe Lokal essen wie einst. Auf der Seinebrücke Pont Neuf, wo wir uns trennten, ging er in eine andere Richtung. Aber sonst war alles wie am Anfang.
An dieser Stelle in der Eisenbahn fiel mir das Mühlstein-Gleichnis aus der Frohen Botschaft ein: Aber wehe! Es wäre besser für ihn, er
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