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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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dem Gipfel meiner Verachtung angekommen.
    Ich weiß, das interessierte kein Schwein. Also kam ich mit dem Holzhammer: Schaut mal nach Amerika! Diese englischen Sektierer haben sich den Weg nach Westen doch freigeschossen, für die waren die Indianer doch nicht einmal Menschen! Die Spanier dagegen haben die Indianer getauft, sie also als Menschen, als innerhalb der Gesellschaft, wenn auch auf unterster Stufe, anerkannt, sagte ich mit Octavio Paz, und um meine und dessen Autorität in Meßkirch zu stützen, fügte ich hinzu: sagt der Nobelpreisträger Octavio Paz in seinem Buch: Das Labyrinth der Einsamkeit, für das er mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden ist!
    Wenn ich auch den einen oder anderen von uns überzeugt haben dürfte (nicht anders als damals schon), so war ich mit meiner so desolaten wie »flächigen« (hätte Professor Müller gesagt) Hetzrede nur dem Rollenspiel treu geblieben: halt etwas verrückt, aber lustig, nur nicht mehr stotternd ... hieß es.
    So konnte unser Wiedersehen nicht zu jenem Erfolg werden, den sich in der Begrüßungsrede dieser Diethelm erhofft hatte. Vorzeitig reiste er auch ab, mit dem Hinweis auf eine Konfirmation am folgenden Tage, was mir einen Stich gab, denn Diethelm hatte es geschafft, nicht ohne seine Lieblingsfreundin von einst noch nach Hause zu fahren. Was mir noch einen Stich gab, denn damals schon hatte er geschafft, was ich niemals geschafft habe. Wie weit sie an jenem Abend kamen, weiß ich nicht. Schon angetrunken und gleichzeitig ernüchtert, gab ich den anderen zu verstehen, dass die zwei miteinander ins Nest gefahren seien, auch ein Wiedersehen! Dass sie es vor (»Geilheit« sagte ich aber nicht, weil es dieses Wort zu unseren Zeiten noch nicht gab), vor lauter (eine unübersetzbare Fügung ...) unter uns nicht mehr ausgehalten hätten.
    Niemand wollte mich hören. Wie ich sie verstand! Ich hasste mich wegen jedes einzelnen Satzes. Auch dieses Mal (ich glaube, es hätten auch fünfzig Jahre, ein Leben, dazwischenliegen können) fand ich kein Gehör, nur Gelächter. Ungläubiges Gelächter: Sie lachten wieder einmal über mich und meine Einfälle.
    So saßen wir noch eine Weile und ließen uns volllaufen.
    Unser Wiedersehen war in sich zusammengebrochen.
     
    Wenn ich nun noch einmal irgendetwas nennen müsste, was diese neun Jahre gebracht haben, so müsste ich sagen: Flamme empor! Ich weiß jetzt, wie man Flamme empor! singt und schreibt.
    Vielleicht eine Erinnerung an die Rassenlehre, die entsprechenden Schautafeln »nach Kretschmar« hingen noch herum, das Wort »arisch« fiel noch gelegentlich, wenn auch offiziell abwertend im Tonfall, ebenso das Wort »nichtarisch«, das nun ein Kompliment - oder etwas Besonderes - sein sollte.
    Auch mit den Froschschenkeln weiß ich nichts mehr anzufangen. Sie geistern aber in meiner Erinnerung herum. Ursprünglich auf den Heuberg gehörend, dann in der Einkaufstasche nach Meßkirch geschleppt, ins Biologiezimmer, lebend, dort von irgendjemandem (es muss doch jemanden geben, der all diese Dinge noch weiß!) - vom Hausmeister? vom Lieblingsschüler? von einem unserer frechsten Mädchen? - getötet - sagt man nicht getötet bei Fröschen? Oder fängt das erst bei den Lebewesen an, die von uns nicht gefressen werden? Auseinandergenommen, zerschnitten, zerlegt, untersucht - und anschließend auch noch von unseren Mädchen unter Anleitung der alten Biologielehrerin, die schon beim BDM deutsche Kochkurse gegeben hatte, zubereitet, während die Jungen im Gleichschritt zur Turnhalle abkommandiert wurden, wo sie sich den sogenannten Leibesübungen zu widmen hatten, Drillübungen, die in gerader Linie von Zirkus, Militär und der Zeit vor uns abstammten.
    Meine Schule schiebt sich immer näher ans, was damals Lichtjahre entfernt schien, immer näher ans Dritte Reich mit den Jahren.
    Ich kannte Menschen, die haben den Führer im offenen Maybach vorbeifahren sehen, und andere, denen hat er die Hand gereicht. Das war in Nürnberg, das war der Höhepunkt im Leben meiner Biologielehrerin, ich weiß, sie war die Jüngste im Bund der NS-Akademikerinnen.
    Wir waren deutsch: Wer »Nibelungen« sagte, musste nachmittags zum Nachsitzen antanzen. In Meßkirch angekommen (mit dem Fahrrad), wurden die Delinquenten in einen Nebenraum gesperrt, und der eine oder andere musste laut bis zehntausend zählen. Ab und zu ging die Tür auf, und sie kontrollierte, wie weit man war. Drei Stunden hatte sie angesetzt.
    Bei den sogenannten Notfallübungen am

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