Einmal auf der Welt. Und dann so
auf Raiffeisen zurück. Im Grunde auch die Besamungsstation, die Bullen, die, von der Genossenschaft »bezuschusst«, in unserem Farrenstall arbeiteten, der für uns Kinder gesperrt war, obwohl wir uns nie wieder so sehr dafür interessierten, was hinter diesen Türen vorging, wie als Kinder.
Wir hatten ja nur das Schlüsselloch, das so gut wie alles verbarg: wenig Licht im Deckraum. Unsere Kuh, die wohl einen genauso alten Stammbaum hatte wie ich, einen Stammbaum, der ebenso viele Generationen in unserem Stall aufwies wie meiner im Haus daneben - oder noch mehr? -, trottete genauso unergründlich davon, so unverändert, so unverändert, wie sie gekommen war - und wir hinterher. Ich kann mir nicht denken, dass sie etwas davon hatte. »Selbstsucht ist durch Gemeinsinn zu ersetzen.« Ein ländliches Literaturkränzchen gründete er auch noch. »Das Schlimmste ist die Gottvergessenheit.«
Des ungeachtet wirbt er auch noch für den Abschluss von Lebensversicherungen.
»Ich werde noch einmal ein Buch schreiben!«, schrie der Mostonkel manches Mal in den Schwackenreuter Rauch hinein, wenn von unserem (durch die R.-Bank) drohenden Ende die Rede war. Er hätte es tun sollen. Unsere Geschichte kam ja nicht durch den Raiffeisen-Direktor zu Ende, sondern durch die Verhältnisse, von denen R. nichts wissen konnte, als er sein »Die Darlehns-Cassen-Vereine in Verbindung mit Consum-Verkaufs-Gant-etc. Genossenschaften als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung sowie auch der städtischen Arbeiter. Praktische Anleitung zur Bildung solcher Vereine, gestützt auf dreiundzwanzigjährige Erfahrung als Gründer derselben« schrieb.
Glaubte er an den Fortschritt? Ich fürchte: ja. Anders kann ich mir nicht erklären, dass er zur Gründung von Besamungsvereinen und Versicherungsgenossenschaften aufrief.
Was stand im Tausendjährigen Reich über R. in den Lexika? War er verboten?
Unsere, unser aller Geschichte, die wir einst mit der Mistgabel im Stall standen oder das Heu im hintersten Winkel unseres Heustocks verstauten, die wir im Schweiß unseres Angesichts, wie im 1. Kapitel der Heiligen Schrift vorausgesagt, gelebt haben, war umsonst. Wir haben umsonst gelebt. Es ist aus.
Schon mit Raiffeisen ging es nicht recht weiter. Der eine Sohn emigrierte nach Amerika und blieb verschollen. Das Werk selbst haben die Banken an sich gerissen. Der andere Sohn versuchte noch, eine Zeit lang weiterzumachen. Er wurde vom Raiffeisenverband ausgebootet, starb bettelarm. Der kleine Nachlass wurde versteigert, vom Raiffeisenverband aufgekauft und beiseitegeschafft und brachte hundertsechzig Reichsmark: ein Schreibtisch aus Weichholz, zwei Gipsfiguren, ein Kreuz, drei Stühle, eine Bettstatt, ein Oberbett, mehrere Hundert leere Medizinfläschchen, ein alter Regenschirm.
Die Raiffeisenbank mit ihren Eintragungen ins Grundbuch war ja auch nur etwas Zweitrangiges. Dem vorausgegangen war unsere Gier oder unser Glaube, dass es aufwärtsgeht mit uns: unser unbeschreiblicher Fortschrittsglaube, den wir vielleicht mit Raiffeisen teilen. Wir haben uns verführen lassen. Sie überredeten uns zu neuen Kuhfarben, zum Fortschritt bis zu der Stelle, wo dieser endet.
Eines Tages kam das Landwirtschaftsamt (von Brüssel über Bonn und Stuttgart dirigiert) und sagte, dass es für uns besser wäre, unsere Anwesen würden zu viehlosen Getreideanbaubetrieben (Amtssprache) umgemodelt. Es wurde für jede Kuh eine »Abschlachtungsprämie« - so der Ausdruck - in Aussicht gestellt. Wir machten auch mit. Für jede Kuh gab es tausend Mark. Das war ein Geschäft. Für jede Kuh, die ich doch jahrelang vom Feld geholt, durch die ich Zählen gelernt, sie bei ihrem Namen ansprach, sprechen gelernt, die ich fütterte, molk, liebte, gab es tausend Mark. Meine Lebensgefährten, mit denen ich, von denen ich lebte, die - lachen Sie nicht! - mein Leben waren, haben wir verkauft. Damals hatten wir noch etwas, dem wir über den Kopf streicheln konnten, und ihre Augen, waren sie nicht die schönsten? Gab es nicht das Epitheton ornans »kuhäugig« für die schönen Augen der Artemis?
Eines Tages waren unsere Kühe verkauft, die schwarzen und das Meßkircher Höhenfleckvieh, alle. Der Abtransport durch Heidegger zog sich über einen ganzen Tag hin. Heidegger musste mehrere Male verladen, wegfahren, wiederkommen. Doch schließlich war es geschafft: die letzte Kuh im Viehwagen festgebunden. Heidegger schloss den Laden, hievte sich in seinen Viehwagen und fuhr zum Hof
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