Einmal auf der Welt. Und dann so
aber an jenen Abenden nur einmal die Möglichkeit, sich einen auszusuchen, dann, wenn der Bandleader, Jonny, der im gewöhnlichen Leben die Filale von Gaismaier leitete, mit einer Stimme zwischen frivol und schwul, und von beidem wussten wir nicht viel, als nächste Tour: Damenwahl! ankündigte. Und dann liefen sie los, die Tinas und Marinas, und die anderen, darunter damals noch mindestens drei Willis, saßen da und bangten.
Und ich dachte nun: Wenigstens ein Glück, sollte der Befund schlecht ausfallen, dann wäre zumindest so viel klar: dass es nie wieder »Damenwahl« heißen würde aus dem Lautsprecher und ich dasitzen würde und warten und hoffen, dass eine käme, und auch fürchten, dass es möglicherweise die falsche war. Denn einen Korb geben ging bei der Damenwahl nicht.
Nun hörte ich Frau Methfessel, wie sie eben diese Imelda aufforderte, ihr die Spritze zu reichen.
Es sehe nicht gut aus. Die Stelle gefalle ihr nicht. Man könne aber »heute« sehr viel »machen«, sagte sie.
»Auf alle Fälle müssen wir nun eine Probe nehmen.«
Das Wort »malignes Karzinom« hatte ich nun einmal von Dr. Schwellinger gehört. Das war nicht mehr von der Festplatte zu entfernen.
»Wegmachen«, sagte sie, »eine Probe nehmen«, sie sprach von »einschicken« ...
War es nicht mein Muttermal?
Es war dann doch halb so schlimm gewesen, wie beim Zahnarzt, dort eher selten, konnte ich nun sagen: »Es war halb so schlimm!«, als die Probe schließlich entnommen war. Mit ihrem betrübt aufmunternden Blick durch ihre Designerbrille, in dem viel »halb so schlimm!« steckte, verließ ich die Praxis.
Aber die Zeit aushalten, bis »das Ergebnis« kam, musste kein anderer als ich.
Von dort ging ich sofort ins Reisebüro.
Zu Dr. Gnädinger Reisen, denn der hatte auf Reisebüro umgesattelt, nachdem er endgültig wegen Zugehörigkeit in einer verfassungsfeindlichen Partei (DKP) von Baden-Württemberg, das damals Ministerpräsident Filbinger unterstand, aus dem Schuldienst entfernt worden war. Das kam zu allem auch noch hinzu, ja, ich wurde in eine Welt hineingeboren, die erst Kiesinger und dann Filbinger regierten, in der Kiesinger- und Filbingerzeit lernte ich aus ihren Lehrbüchern lesen und schreiben, atmen und leben, und lebte und atmete wie sie, noch so zwei Menschen.
Nun hatte ich noch einen Onkel in Amerika, und ich sagte mir: »Wann, wenn nicht jetzt!«
Nun war der richtige Zeitpunkt für die Reise zu meinem Onkel gekommen, der dorthin mit der Sierra Ventana von Bremerhaven gefahren war, mit dem Reisesegen Strittmatters versehen, der als junger Hilfspfarrer zu uns gekommen war und das Himmelreich nicht mehr verließ bis zu seinem Tod. Dort, im südlichsten Süden Amerikas, das schon als Wort eine Verheißung war, lebte mein Onkel, wie ich glaubte, auf einer riesengroßen und wunderschönen Estancia am Fuße der Anden, schuldenfrei; und nie wieder war er von dort ins Himmelreich zurückgekehrt. Dass dort fast alles ganz wie zu Hause war, konnte ich ja noch nicht wissen, und von der Kälte und dem Wind, der überall auf der Welt die Gewalt von nichts über etwas ausübte, auch nicht.
Der Onkel Anton in Pico Grande war der Bruder der Kreuzlinger Tante und auch von Tante Mausi.
Und das Problem der Finanzierung war wieder einmal kein Problem.
Denn das Geld bekäme ich gewiss von der Kreuzlinger Tante. Sie wollte ja schon lange, dass ... und das andere musste ich ihr gar nicht sagen. Und der Rest kam von Mausi, beide Schwestern meines Onkels waren ledig und kinderlos geblieben, ein Zustand, den wir im Himmelreich von Anfang an mit vollen Kräften unterstützten. Um dann in unserem ungeordneten, ungezügelten, verqueren Leben immer wieder auf die eine oder andere zurückgreifen zu können.
Ich schickte mich vorerst hinein, auch war noch ein Rest jugendlich-romantischer Todessehnsucht dabei und die Aussicht, dass ich bald alles hinter mir hätte und dass auf alle Fälle noch Zeit bliebe, Zeit genug, um für ein paar Wochen nach Patagonien zu reisen und das Leben zu genießen. Falls die Geschichte bösartig wäre.
Ich war ja ohne jegliche Beschwerden. Das, was ich hatte, kam ja nur davon, dass ich »zu gut« gelebt hatte, wie der Immunologe gesagt hätte. Wie lange sich so ein Sterben hinziehen könnte, welche Zeit ich zum Sterben benötigte, fragte ich sie nicht. Manchmal ging es ganz schnell, und der Mensch, der übrig blieb, hatte dafür das Wort »Sekundentod«. Ich selbst dachte an ein, zwei Jahre, so lange
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