Einmal auf der Welt. Und dann so
ich noch von Pfarrer Strittmatter. Die Experten konnten nun aber von jeder Speichelprobe und jedem sogenannten Abstrich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass ich es war.
Aber nun.
Es war der »Verdacht auf ein malignes Karzinom« auf meiner Haut, mit dem im Kopf ich nach Hause fuhr, an Gärtnereien und Menschen vorbei, an Bauernhöfen und an jener Molkerei in Billafingen, die bald zu einem aus Explosiv und Bild bekannten Dominastudio umfunktioniert sein würde, und zu allem, was immer war und nie.
Als ich von Dr. Schwellinger nach Hause kam, voller Abschiedsphantasien im Kopf, was auch für die anderen Teilnehmer am Straßenverkehr gefährlich gewesen sein dürfte, ein Wunder, dass nicht mehr passierte, bei all den Träumern unterwegs, machten sie beim Mittagessen ein betrübtes Gesicht, aber nicht wegen des Muttermals und Dr. Schwellinger - von meinem Besuch bei ihm wussten sie ja nichts -, sondern wegen eines Briefes von der Bank, den Lore, die Postbotin, vorbeigebracht hatte.
Es war schon wieder ein Brief von der Raiffeisenbank, diese Sorte Brief, die uns nun fast schon jeden Tag erreichte, kam sonst nur einmal im Jahr, aber wie wenige Jahre später wegen der Hochzinspolitik von Reagan, waren die Banken durch die sich abzeichnende erste Ölkrise wieder einmal ziemlich nervös, als ginge ihr Leben auf einen Schwarzen Freitag zu, an dem sie alle gekreuzigt würden.
Das Institut forderte noch einmal die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse.
»Dem endlich und unverzüglich nachzukommen ...«
Wie ich über die Nacht und über alles geschlafen habe, weiß ich nicht mehr. Panik und vielleicht ein Rest jugendlichen Weltschmerzes werden sich die Waage gehalten haben. Und vielleicht erschien das Gedankenspiel auf meinem Hirn-Display, dass ich mir aus Angst vor dem Tod das Leben nehmen wollte.
Ich weiß nur noch, dass, als ich am folgenden Tag, die Sonne schien wie immer, Frau Dr. Methfessel gegenübersaß, ratlos und panisch, wie das berühmte Kaninchen, nachdem sie mir gesagt hatte:
»Ich werde das jetzt sofort wegmachen.«
Es war Freitag, mein Schmerzensfreitag. Und sie war eine anerkannte Onkologin und immer noch Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten mit Belegstation im - allerdings nicht wegen ihr - berüchtigten Krankenhaus von Überlingen, wo es damals zuging! - Ich sage Ihnen -.
Das Jucken, welches mich immerhin zum Psychiater und wie ein Tinnitus beinahe in den Tod getrieben hätte und mich mit reichlich Stoff für Todesphantasien versorgt hatte, war nun, und spätestens seitdem ich von Dr. Schwellinger »malignes Karzinom« gehört hatte, und jetzt erst recht, wo ich wie im Zahnarztstuhl saß, wo alle Ängste wie Hirngespinste zu nichts verblasen sind, wenn der Bohrer kommt, wie weggeblasen.
Von einer Geschlechtskrankheit war keine Rede mehr, jetzt war es nur noch meine nackte Haut, mein Muttermal, mein Leben.
Und ich, in der Hoffnung, dass dieser Kelch an mir vorbeigehen werde, sagte gar nichts, als ich abermals »wegmachen« hörte, als wäre es wie einst, aus dem Bauch heraus.
»Hören Sie?«
»Können Sie mich hören?« »Wegmachen.«
Seitdem ich dieses schauderhafte Wort zum ersten Mal gehört habe, wahrscheinlich noch in jenem Bauch auf dem Weg nach Schwackenreute, hätte ich das Nichts immer dem Etwas vorgezogen, denn ich war schmerzscheu. Und nun wie betäubt, wie ein Vogel, der gegen ein Fenster geflogen ist.
Trotz Gott und all der großen Dinge, an die ich glaubte, wäre es mir immer am liebsten gewesen, ich wäre gar nicht erst zu etwas geworden, das so viel wie nichts war, nicht viel mehr als nichts, wie sich herausstellte im Verlauf dieses Etwas, das sie Leben nannten, das nicht viel mehr konnte als denken, dass es eines Tages, aber gewiss, auch noch damit aus wäre.
Und dann: Das kam ja zu allem dann auch noch hinzu, dass der Mensch, einmal geboren, gar nicht mehr sterben wollte, ja, Todesangst hatte, vor dem Nichts, als wäre es etwas, und sich auch noch fürchtete vor dem einmal mit Sekundengenauigkeit eintreffenden, mit Dienstgenauigkeit der Atomuhr anzugebenden, das Leben über bevorstehenden Ende; und Todesangst hatte er wie vor der Schlange das Kaninchen.
Das war die Todesangst, das Einzige, was ich hatte und von dem ich mit Gewissheit sagen konnte, dass es das gab, ja, meine Todesangst war der einzige wirkliche Beweis, dass ich lebte. Todesangst und Appetit. Das war's. Eine Todesangst und einen Mordsappetit, das war es wohl,
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