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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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hatte es bei denen gedauert, die an dieser Krankheit zugrunde gegangen waren. Und dann las ich in der Zeitung von den »mit großer Geduld und bewundernswerter Kraft« Entschlafenen, die Namen von Menschen, mit denen ich lesen gelernt, leben gelernt hatte, den Namen von meiner Großmutter, zum Beispiel, oder von meinem Großvater, der auch schon so hieß wie ich, der mir mein erstes Fahrrad geschenkt hatte, und dann ... Und auch schon von solchen, die so alt waren wie ich, las ich den Namen in der Zeitung auf der Seite, wo die Todesanzeigen, die Eheanbahnungsinstitute, der Tiermarkt und was es sonst noch gab, alles auf einer Seite, verzeichnet waren, ja »kaum war der Mensch geboren, so war er alt genug zu sterben«, das war das Motto von Sein und Zeit, ja, und kaum konnte ich lesen, las ich schon die Namen von Kindergartenfreunden, mit denen ich das Spielen gelernt hatte, dieses und jenes Spiel, bis sie beim Spielen im Hof vom Lastwagen überfahren wurden, ach, so viele Tote, Verkehrstote, die hingenommen wurden, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, auf der Straße umgefahren zu werden und zu sterben.
    Und so entschlief oder verschwand oder wurde umgefahren und umgemäht, von Gigi, Caro und Frederic an, einer nach dem anderen, und ich könnte so lange die Namen in den Todesanzeigen lesen, bis auch ich an der Reihe wäre, war es jetzt?? - Entschlafen?? Auch diese Medizinerin sagte mir, man könne heute, falls der Befund tatsächlich positiv ausfalle, gerade hier »viel machen«.
    Aber ich hoffte insgeheim vielleicht doch auf ein Wunder. Diese Hoffnung war dann mein Lebensmittel in diesem Leben, das nur für Masochisten, Millionäre und Zyniker ein Fest sein konnte.
     
    Da hatte sich nun innerhalb von drei Tagen oder einem Augenblick mein Muttermal-Leben verändert.
    Ich sollte nicht mehr an die Sonne gehen, das war vorerst alles, was sie mir mit auf den Weg gab, und mich immer eincremen. Was mittlerweile als Irrlehre durchschaut ist. So irrten sich die Experten immer wieder.
    Erst ging ich also ins Reisebüro, um zu sehen, wie ich am schnellsten nach Amerika käme, und nahm mir vor, keinem Menschen davon zu erzählen, und auch von meiner Hoffnung auf ein Wunder nichts, der Glaube machte den Menschen auf der Welt, in der er lebte, doch nur lächerlich; also schwieg ich im Fleckviehgau und auch in Amerika. Dort wollte ich nicht einmal sagen, dass ich nun bald käme. (So schnell ging dann alles, dass ich meinen eigenen Brief, den ich dann doch schrieb, mit etwas Glück in Pico Grande abfangen könnte und verschwinden lassen.)
    Und dann kam auch noch ein Brief von der Bank, ob Sie es glauben oder nicht: Immer wieder hatte es auch einmal gute Post gegeben, war ich im Lauf der Jahre von der Schule in und von Meßkirch zurückgekehrt, schöne Nachrichten wie im Gedicht Briefträger von Nazim Hikmet »Als Kind wollte ich Briefträger werden ... in meiner Tasche nur Schreiben mit frohen Botschaften ... ein Kind erfährt, dass sein Vater morgen aus dem Gefängnis zurückkommt« und ähnliche Wunder, aufgehoben in einer Anthologie der Gedichte vom Leben des Menschen, die Tohuwabohu heißen müsste.
    So viel war es nicht, was von der Bankseite kam, doch immerhin: Es war Glück im Unglück, und das konnte nicht ohne Grund sein, denn nichts war ohne Grund, wie auch ich mir damals einbildete.
    Da lag nun schon wieder eine Nachricht von Bantles Seite, dieses Mal jedoch eine gute, was von dieser Seite noch nie geschehen war: die Ankündigung einer Überweisung, die Gutschrift eines Betrags von DM 5225. Ein Zeichen und kleines Wunder! So viel Geld brauchte ich doch gar nicht. Es war wie ein zusätzliches Taschengeld, dachte ich. Also wollte ich aus Dankbarkeit die Hälfte der Summe, über deren Herkunft ich nicht weiter nachdenken wollte, für eine gute Sache stiften. Die andere Hälfte wäre für Amerika. Vielleicht kam auch dieses zusätzliche Geld von Tante Mausi oder von ihrer Kreuzlinger Schwester, denn beide wussten, dass ich von Amerika träumte, und wollten, dass endlich einer nach ihrem Bruder sähe, der nie wieder zurückgekehrt war, nachdem er einmal weg war, damit sie in Ruhe sterben könnten, und vielleicht auch er.
    Bald war mir klar, dass das Geld von Mausi war; sagte aber der Kreuzlinger Tante kein Wort von diesem vermeintlichen Segen, so war ich doppelt gesichert, ja strukturiert.
    Vor meiner Abreise nahm ich dann Sachen mit! -
    Sie glauben es nicht: Schleuderhonig, ja Wasser aus der hauseigenen

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