Einmal auf der Welt. Und dann so
dem Gesicht strich und alle Tränen abwischte.
Mich schmerzte mein Muttermal, und dich schmerzte mein Phantomschmerz, meine Mutter, mein Muttertier.
AUSWANDERER! Dein Bild ist blass geworden. Und du verfaulst nun anderswo. Aber auch als du noch mitten unter uns warst, haben wir nur aus Verlegenheit hinter dir hergewinkt und hergeweint. Wir wussten nicht, was wir dir zum Abschied sagen sollten. Der Chor sang Nun ade, du mein lieb Heimatland und blieb zurück. Der Auswanderer blieb fort. Wärst du noch einmal zurückgekehrt, wäre dein Bild noch einmal in unserer Zeitung erschienen. Wir hätten lesen können: dass du noch drei Schulkameraden lebend angetroffen hast und dass die anderen tot waren. Dass du ein paar Wochen in der alten Heimat bleiben möchtest und dann zurückfahren. Aber du bist nicht zurückgekommen.
Doch ich will jetzt noch einmal zu dir. Zu dir und allem, was dich am Leben hielt.
Wie war es?
»Wie war es?
Es war Staub und Wind, von Drahtzäunen durchzogen. Wie war die Kälte?
Sie war eingeteilt in Quadrate aus Wind.«
Die Wolken hingen für sich. Der Himmel war fern. Es regnete. Aber der Boden fehlte. Anstelle des Bodens Steine. Und dazwischen waren schon Gräser heimisch und erste Lebewesen, die sich von selbst fortbewegen konnten und unsichtbar blieben. Die Wurzeln fanden sich zwischen den Steinen zurecht. Manche lagen frei und rückhaltlos, von oben und unten geschunden, aber immer noch am Leben.
Die Flamingos, die Fragezeichen, grazil, einbeinig, rosarot.
Doch alles zog nur vorbei.
Die Tiere standen mit ihren Brandzeichen unter einem hohen Himmel. Bei einem Schaf lohnte sich das Brandzeichen nicht. Aber ein Kind bekam es schon beim ersten Einfangen. Die Schafe wurden einmal im Jahr zusammengetrieben, das genügte. Von den herumziehenden Schafscherern an den Vorderbeinen zusammengebunden und blutig geschoren. Bekamen sie nicht genug zu saufen, scherten sie die schönsten Schafe zu Tode und sagten »So geht das« vor sich hin und »Armes Schaf.«. Es war ein großer Haufen, ein Berg von Schafen, im Pferch zusammen blökend und den Schafschrei einer zerzausten Landschaft anvertrauend. Dann standen sie nackt unter freiem Himmel und Disteln. Allein ihre widerständigen Mäuler zum Fressen und Blöken. Es war so kalt in der Welt. Die geschorenen Exemplare standen mit den ungeschorenen in Regen und Wind, die auf ihrer Haut brannten. Das eine und das andere Gerippe lag schon ganz ausgebleicht in Sonne und Wind. Auch am Ende der Welt gab es keine Gnade, am Ende der Welt gab es den Schakal. Der kam und lebte von den Resten an der Stelle, wo das Lebewesen zusammengebrochen war.
Die Schakale mit ihrem alles verwertenden Magen, mit ihrer Salzsäure im Bauch.
Das Land war sehr früh, kaum dass die Eindringlinge Fuß gefasst hatten, in Quadrate eingeteilt worden, Quadrate fünf Kilometer lang und breit. Nachdem der Boden unter den Füßen der Indianer weggezogen worden war (Nomaden, nichts als Nomaden), das Land stückweise an Interessenten, die nichts als den Lageplan kannten, verkauft worden war, kamen auch bald Horden von Tagelöhnern von überallher, Strategen, Landvermesser, später Fußvolk, und zogen die Zäune meiner Onkel und vielleicht auch Ihrer Onkel durchs Land.
Da ich nun einmal hier war, in einem Gelände aus Pappeln und Wind, glücklich gelandet, und auch, da ich nicht so einfach umdrehen konnte, dachte ich wenigstens das Grab zu suchen und zu besuchen, und auch jene Verwandten, die noch nicht gestorben waren.
Die Estancia stand prächtig am Ende eines Weges, der von Pappeln gesäumt war. Ihr Name aufrecht über der Tranquera, dem Eingangstor unten an der Straße, kilometerweit entfernt. Dann immer geradeaus, wurde mir gesagt, dann wirst du eine Anhöhe sehen, unseren Friedhof. Ich sah das schöne Gras, die vielen Schrunden, die offenen, mit altem Regenwasser gefüllten Stellen. Bald kam fettes Gras, das die Nähe einer Siedlung versprach. Bald kamen auch die Lupinen, doch diese blühten auch als Unkraut weiter, blühten an längst verlassenen Stellen. Das erste untrügliche Zeichen aber war ein abgeernteter Kirschbaum, ein patagonischer Krüppel, wie alle Kirschbäume, die ich noch sehen sollte. Dann folgte meine Stille bis zum Schrei des gelben Vogels mit den schwarzen Federn an den Flügeln, der zusammen mit dem Wind ohne Namen blieb.
Ich sah die Anhöhe. Ich kannte sie vom Foto. Es war wie ein Wiedersehen. Von hier aus wurde ich mit Fernweh versorgt, mit blauen
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