Einmal auf der Welt. Und dann so
unbeschreibliche Richtigkeit der Dinge, das Nachsommerleben. Wie lange war das her!
Im Verlauf weniger Sommer hat der altkluge alte Herr seinem Gast alles beigebracht.
Und ich?
Hinter dem alten Herrn Fritz her, der mich in sein Haus und Leben zog, vor sich hin tappend, vor sich hin sterbend? Wie hatte der alterslose Freiherr seinen jungen Gast am schmiedeeisernen Rosengitter empfangen! Aber ich wurde mit einer von den Farben des Lebens verfärbten Unterhose konfrontiert. Mit der Einladung auf einen Whisky am hellen Tag. Kann man sich denken, dass Der Nachsommer mit einem Glas Whisky beginnt?
Friedrich Wilhelm von Streng kam am 21. Juli 1909 als einziger Sohn des Generaldirektors Geheimrat Oskar von Streng und seiner Frau Helene, geborene Padtberg, in Berlin zur Welt. Aufgewachsen in verschiedenen Städten, die Sommer im Landhaus auf Rügen. Privatlehrer bis zur Sexta. Studium der Rechte in Kiel. 1932 jüngster Referendar im preußischen Staatsdienst, 1933 entlassen (Gesetz zur Wiederherstellung der Ehre des Berufsbeamtentums; außerdem drohte der Unzuchtsparagraph 175).
1936 hatte Fritz, als wäre es eine Lustreise, mit unbekanntem Ziel das Deutsche Reich verlassen.
Nach dem Krieg und dem tausendjährigen Reich hat auch Fritz keine Entschädigung bekommen, als wäre so etwas möglich gewesen.
Fritz war ein schlechterzogenes Kind, hörte ich.
Seine Mutter hat ihn noch mit sieben Jahren von der Gouvernante im Kinderwagen herumfahren lassen. Die Milchzähne kamen auch erst im letzten Augenblick. Noch mit achtzig die süßen Sachen in Kinderportionen, mit Kindergäbelchen, zerschnitt das deutsche Stück Torte in zehn französische Teilchen, die er unter heftigen oralen Automatismen in sich hineinschob, das habe ich selbst gesehen.
Er war sein eigenes Haustier, hörte ich, trauriges Leben wie Tante Lotte. Erst die Katze überfahren, dann auch noch Oma gestorben. Das kann kein Zufall sein.
Streifte mein Gesicht, meine Augen, dann sah er sich auf einem Klavierhocker sitzen, die Beinchen baumeln, man hat ihn hinaufgesetzt. Dann schob die Frau den Hocker ganz nah an die Tastatur; und schon nach zwei Wochen war eine Melodie zu hören, die weniger war als Häuschen Klein, Fritzchen aber das Schönste schien, was er je gehört hatte.
Es folgten Erinnerungen ohne Chronologie.
Kennen Sie das Schmerzspiel?
Wir waren von selbst draufgekommen. Was uns so einfiel mit zwölf, dreizehn Jahren. Ein demokratisches Spiel, es wurde gewürfelt. Und dann wurde der eine an den Baum gebunden, und ein anderer durfte mit ihm machen, was er wollte, solange das Spiel dauerte. Süße Schmerzen und saure Schmerzen, laute und leise, leere und volle, oben und unten, innen und außen. Sieger war, wer am Ende keine Lust mehr hatte. Dann kam der Spielkönig und setzte sich noch eine Weile auf den Bauch unseres Opfers und ging mit seinen Knien gegen die Achseln. Noch ein paar Quieker, und schon war alles fertig. Das Spiel war in unserer Gegend wohl so alt, dass die Erwachsenen, die uns bei unserem Treiben beobachteten, selbst mit einer gewissen Wehmut alles von ferne verfolgten.
Dann hörte ich, wie es weiterging. 1936 fand er sich in der Neuen Welt, die er als Weltreisender getarnt erreicht hatte.
Rosa ließ mich wissen, dass bei ihm auch in der Liebe nicht alles in Ordnung sei.
»Einheimisches Fell!«, sagte er, streifte den Überzug, in dem ich ziemlich tief versunken war.
Dieses Haus, dieses Fell, dieser Sessel, in dem er saß: Alles verlangte eine Erklärung, glaubte er, angefangen mit der Überfahrt.
»Dieses Schiff! Die Sierra Ventana, ein richtiges Auswandererschiff. Ich war ja oben beim Kapitän, Auslauf genug, während die Auswandererklasse eng gedrängt, wissen Sie, ganz hinten und unten, im Schiffsbauch eingerichtet war. Möglichst viele Auswanderer sollten untergebracht werden, da, wo das Schiff am meisten schwankte. Bald nach dem Ersten Krieg haben wir wieder mit den Schiffen angefangen; und zwar mit größeren Schiffen als je. Ballin war zwar tot. Er hatte sich auf die Nachricht hin, der Kaiser habe abgedankt, einfach umgebracht! Stellen Sie sich vor: sich wegen dieser Figur auch noch umbringen! Der Engländer hat uns ja kein einziges Schiff gelassen«, sagte mein Vater, »nur den Hafentender Grüß Gott!. Mit ihm mussten wir ganz von vorne anfangen«, sagte er. Ein Schiff, kaum größer als Magellans 90- und 130-Tonner. Ein Hafentender! Grüß Gott! -
Vom ganzen Wilhelminischen Seeimperium blieb einzig die
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