Einmal auf der Welt. Und dann so
augenblicklich klar, jedem, der ihn sah. Seine Geschichte war in wenigen Sätzen erzählt.
Doch dich, Galina, erwarteten große Tafeln aus Blech: Willkommen in den Vereinigten Staaten von Amerika (so lautete der vollständige Name des Landes über dem Meer). Trotz der Kriegsjahre warst du schön und etwas mollig geblieben, aber nicht schwindelfrei. Auch deine Geschichte in Amerika war vergleichsweise kurz. Du bekamst einen Besen in die Hand, Tee aus Plastikbechern (die ersten Plastikbecher deines Lebens). Nach einer schrecklichen ersten Nacht zwischen diesen Einwanderern in Anstaltskleidung, die schon eine Runde weiter waren, die alles abgelegt hatten außer ihrem Körpergeruch, wurde dein Name erneut aufgerufen. Du hast dich nur an der Nummer erkannt, die aufleuchtete. Deinen Namen hast du nicht verstanden. Ein Komitee lächelnder Amerikaner solltest du überzeugen, dass die Staaten das Richtige für dich wären. Jetzt waren sportliche Fähigkeiten angesagt, nach dem Glauben an Gott und Amerika die wichtigste Eigenschaft eines Menschen. Zuerst solltest du eine Reihe von Purzelbäumen, vorwärts und rückwärts, nach deiner Wahl, vorführen. Du glaubtest an einen Scherz, schicktest dich dann aber doch an. Hinter dir standen schon mehrere Frauen im Trainingsanzug, die dicker waren als du und älter, alte Frauen, die den Krieg überlebt hatten und diese Sache nicht besser machen würden als du. Dann standest du vor den Hürden. Da war eine glatte Wand aus Plastik, die einen Meter hoch war und umfiel. Dein Sprung misslang. Die Mauer fiel einfach um und begrub dich. Doch deinen Plan hattest du zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht aufgegeben.
Nach einer kleinen Pause wurden die Pioniertugenden getestet. Da kam eine Braunbehoste mit einem Huhn herein, übergab es dir zusammen mit einem Messer und deutete durch Zeichen und Laute an, in einer Stunde wolle sie ein kochfertiges Suppenhuhn mitnehmen. Nach dieser Stunde konnte das Huhn an die nächste Kandidatin weitergereicht werden. Am meisten versagtest du auf der Leiter. Warum warst du nicht schwindelfrei? Ein dreißig Meter hohes Gerüst aus Eisen, das wie ein Galgen im Hof stand. Da hinauf mit dir, bis zur zweitobersten Sprosse!
Schon auf der zehnten Stufe bliebst du hängen, kralltest dich fest und musstest mit Gewalt heruntergeschafft werden wie eine Selbstmörderin, die auch noch den Verstand verloren hat. Das war das Ende.
Mit dem nächstmöglichen Schiff wurdest du aufs Meer hinausgeschafft. Eines Morgens (ich übergehe, dass du unterwegs in Seenot warst) erwachtest du im Hafen von Buenos Aires.
Du lerntest Spanisch. Die ersten Worte konntest du schon in Russland. Nach drei Wochen hat man dir eine Gegend auf der Karte gezeigt, die du bis dahin nicht einmal dem Namen nach gekannt hattest. Dahin bist du gefahren, um dort den Rest deines Lebens zu verbringen. Einverstanden?
Die Schafe bissen nicht, die Gauchos sprachen nicht; und es war heiß und kalt, alles fast ganz wie zu Hause.
Jede Personenbeschreibung wäre ein Reisebericht
Ich schweifte ihre Wände entlang, sah schließlich weiße Mäuse und Ameisen, fleißig wie die Bienen. Einige besonders schöne Ameisen, aber Ameisen.
Eine Müdigkeit hatte mich nun wieder erfasst, vergleichbar meiner kindlichen Müdigkeit, jener Müdigkeit vom Anfang mit ihrem Unwillen gegen Tag und Licht und Menschen. Den Leuten zusehen, wie sie ihr Käsebrot verschlingen, schmusen, Arm in Arm in der Nacht entschwinden?
Erinnerungen an Strände, an denen ich saß und gesessen hatte, gerade jetzt, vorbei, kein dummes Wort, und die von Homer erwähnt wurden. Miserere-Syndrom: Scheiße kotzen, aber kein Fieber, die Reise konnte weitergehn. Hagios Nikolaos, Seefahrerpatron, »der Ort ist sehr einsam«, las ich mir vor.
Das Abendlicht wird dir auch noch geschenkt, dachte ich, zum Fenster hinausschauend, als wäre es die Taiga, auf dem Samowar der Tee.
Aber die Kordilleren sind dir nichts als ein blaues Band. Du bist mit dem Flugzeug angereist, bist angeflogen und hast dich ebenso schnell abgefunden mit allem, was du zu sehen bekamst, dachte ich mir dazu.
Dir, mir genügte damals schon der Biermann, der in der Welt herumgekommen war, unser Biermann, ein Biermann, der Wien gesehen hatte, die Wolga, den Kaukasus, den Balkan, alles im Krieg. Jetzt hatte er eine Frau, die ihm Kinder geschenkt hatte, Wunschkinder, ein Haus, Summe eines verpfuschten Lebens, und war bald tot.
Bald war die Gegenwart in meinem Kopf wiederhergestellt,
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