Einmal auf der Welt. Und dann so
Scheiben und ein Sicherheitsabstand trennten uns noch von den auseinanderbrechenden Leibern. Aber Rosa wollte alles sehen und wollte mir alles zeigen, wollte von Mario ganz nah hingefahren sein, so nah, dass es für ihn anschließend ein Kunststück war, wieder herauszufinden, ganz nah. Die Scheibe hinuntergedreht, und wiederum war ein gewaltiges, abscheuliches »E!« zu hören, wie ich es selbst von Rosa noch nicht vernommen hatte.
Ich erschrak über alles, am meisten des Schreis wegen, der die monströse Begeisterung über das Entsetzliche nicht zurückhalten konnte. Des Anblicks wegen, der mich in die früheste, überwunden geglaubte Zeit zurückwarf, in meine Angst vor den Toten und die Todesangst.
Das ist alles ganz natürlich, gab ich ihr zu verstehen und dachte an mein tatsächliches Leben und versuchte alles mit dem Wort »natürlich« wegzuwischen, mit dem Schwamm der Vernunft. ... von allen Seiten natürlich, von oben, im Anflug, auf Augenhöhe, von unten her, schließlich von innen heraus - die Natur mit ihren vom Licht strebenden beziehungsweise alles durchdringenden, alles mit allem verbindenden, in allem aufgehenden Würmern und Elementen: »Nur natürlich«, sagte ich. Alles ganz natürlich, selbst meine wie die Maul- und Klauenseuche ausgebrochene Todesangst.
Habe ich das wirklich gesagt oder nur gedacht?
Ich sagte noch einmal das Wort »Maul- und Klauenseuche« vor mich hin, ein Wort, das jetzt ausgebreitet vor uns lag, ganz natürlich, selbst die so unnatürlich scheinenden und schimmernden Blautöne, blau, meine Lieblingsfarbe, ein Blau, wie ich es nie gesehen hatte. Die Innereien quollen nach außen, platzten in Blau und Rosa, in Schwarztönen, den hellen und dunklen Farben des Blutes.
Eine hochinfektiöse Angelegenheit, zu Hause wurden die zusammenbrechenden Tiere von Spezialviehhändlern mit Spezialviehwaggons abgeholt, von einem automatischen Gewinde ins Fahrzeug gezogen, die Menschen wurden wochenlang eingesperrt.
Am Rand der Kordilleren gab es keine automatischen Gewinde, keine Spezialviehhändler. Das war vielleicht der einzige Unterschied zu zu zu-zuhause.
Das Naturschöne und das Kunstschöne:
Für Rosa selbst war das alles nur natürlich, mit einem kleinen Überbau aus den USA, dass nämlich Jesus bei ihr war, alle Tage - ich mochte gar nicht so weit vordenken.
Wir stießen zurück, fuhren schon wieder auf der Straße. Sie bot mir ein Drops an, sie führte immer etwas zum Lutschen bei sich. Ich spürte ihre dicken Arme. Fast alles spielte sich im Chevrolet ab.
Wir hatten schon wieder Appetit, das nächste Asado wartete schon. Am See, wir hatten alles dabei. Auf der Ladefläche unseres Pick-ups. Bald saßen wir um das Feuer herum.
Gleichzeitig oder nebenher gab es die Angst vor dem Urwald in meinem Kopf, in meinem neuronalen Durcheinander, vor den vereinfachend Wilde genannten Menschen, die mir als Kind das Leben zusätzlich schwermachten, obwohl ich niemals einen solchen Wilden zu Gesicht bekam, der irgendwo auf der Welt seinesgleichen bis auf die Knochen abnagt, und falls es mein Gott so geplant hat, mich, den Eindringling, bis auf die Knochen abnagt, aus meinen Oberschenkelknochen zwei Halsketten geschnitzt hätte, und selbst noch mein kleinster Fingerknochen hätte für einen Ohrring gereicht, mit etwas Gold vermischt, so geschickt waren sie.
Kein Zweifel, das waren die Gedanken eines Menschen, der zwangsläufig irgendwann bei Dr. Schwellinger landen musste.
Alle meine Vorstellungen hatten sich am Tamtam entzündet, einem Missionsheft für Kinder, das mir der gute Strittmatter zur Belohnung für meine treuen Ministrantendienste, und dafür, dass ich das Confiteor als Einziger fehlerfrei aufsagen konnte, geschenkt hat, einen ganzen Jahrgang ausgelesener Exemplare, ja, damals wurde noch gelesen, die Bücher der katholischen Borromäus-Bücherei alle mehrfach, wie auch die Schulbücher, die von Tintenfinger zu Tintenfinger weitergingen.
Ich hatte gelesen (nein: hineingelesen), dass sie sich damals gerade in der Gegend, an diesem See, aus lauter Lust einander aufritzten, die Araukaner, und so fort, denn der Tod war ein Fest, und ein Mann berauschte sich am Blut des anderen. Das Blut wurde nicht gesalzen und nicht versüßt, nicht gekocht und auch nicht zu einer Blutwurst gemacht oder sonstwie verfeinert. Man nahm einfach den nächstbesten Gefangenen, öffnete sein Herz mit einem scharfen Gegenstand, einer Art Messer, und schlürfte und trank in vollen Zügen und
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