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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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durften noch etwas im flachen Wasser weiterschwimmen. Dann hatte er doch genug gefischt, auch er die Lust verloren, so wechselte er bald von seiner Lust in die Politik und die Raumfahrt. Die Russen flogen schon seit Wochen wieder in einer Umlaufbahn, doppelt bemannt. Das war ein sichereres Terrain für mich. Allerdings haperte es bei mir mit der Sprache etwas. Dieser Satz war eine Steilvorlage für Mario, denn er war zweisprachig, mit seiner Mutter sprach er Russisch (sie war wohl die Einzige in Pico Grande und in der ganzen Provinz Chubut, mit der er diese Sprache sprechen konnte), und mit den anderen sprach er Spanisch. Dennoch hatte Mario aus diesem Kapital auf lange Sicht nichts gemacht. Die Fische verstanden genauso gut Spanisch, und mit Mario würde dereinst das Russische in Patagonien untergehen, seine Kinder sprachen kein Wort. Der Lachs schmeckte, nebenbei, gegrillt ausgezeichnet. Auch der Wein. Immer gab es diesen dunklen, erdigen, hinreißenden und hinabziehenden Mendoza. Das Fangen, Töten, Braten und Verzehren eines Lachses etwa und Wein dazu: kaum ein Vergnügen sonst gab es hier, es war so gut wie das einzige. Wir fuhren mit unseren Angeln, unseren vollen Mägen und unserer restlichen Beute nach Pico Grande zurück. Mario hatte einige überflüssige Lachse und Forellen zusammen in seine Wanne auf der Ladefläche geworfen, ein wenig Wasser dazu. Wahrscheinlich lebten sie noch.
    Es war Teezeit. Ich sollte noch zum Tee bleiben.
    Die gelben Rosen hingen als Leuchtzeichen vor dem Fenster. Wie steht die Mark? Umrechnungskurse gehörten zu den Gipfeln in ihrem Leben, Dollars, die Mark, aufladbare Batterien ... Die Rosen blühten gerade da, wo man sie hingesetzt hatte, mit ihrem kleinen Schwergewicht, kurz vorher, kurz nachher.
    Nach einer Weile fragte mich die Doctora, ob es stimme, dass Fritz, mit dem sie seit geraumer Zeit schmollte, »wie es nur Elefanten und Russen können«, sagte Tante Mausi immer, jetzt auch noch ein Kaninchen im Haus habe. Zusätzlich zu den Ratten, dachte sie, auch noch Kaninchen, die sich mit den Ratten zusammentaten, gegen den Strich und geschlechtsunabhängig, ganz zum Vergnügen, folgenlos.
     
    »Wie war's?«, fragte mich Concetta, eine Halbschwester von Mario, die aber von der Doctora nicht adoptiert und auch nicht im Russischen unterwiesen worden war. Sie war als Hausmädchen angestellt, eine von den Tehuelche-Indianern, die es immer noch gab. Und den Tee im Samowar zubereitete, auf Russisch, so wie ihr das von Galina beigebracht worden war. Dann machte sie einen Knicks und zog sich zurück, als wäre sie in Sankt Petersburg.
    Sodann sprachen wir wieder von Meier, mit dem ich nächste Woche nach Bariloche fahren sollte, ein Ereignis, von dem in Pico Grande schon jetzt gesprochen wurde, so flach war es im Münsterland, dass man schon am Montag sehen konnte, wer am Samstag auf Besuch kam.
    Mochte Meier auch beschränkt sein, war er doch eine treue Seele, ein treuer Hund, wie das, glaube ich, auf Russisch heißt. Auf der ganzen Welt wussten vielleicht nur zehn, zwölf Mensehen, wie es war. Das Traurige an jener Erkenntnis blieb für mich, den auf diese Welt der Verschwörungen Gestoßenen, dass diese wenigen die Welt wohl nicht retten würden.
    Die Doctora hatte Beweise, dass es so war, wie es war.
    Es war alles so sehr verquickt, deutete sie an, dass schon das Durchleuchten eine Sisyphusarbeit war, wie viel mehr erst das Nacherzählen oder gar die Rettung. Zehn bis zwölf Menschen auf der ganzen Welt waren in der Lage dazu, schätzte sie ab.
    Mario nickte ermunternd. Aber es blieb unklar, ob er dieselbe Verschwörung meinte wie die Doctora. Man durfte nicht alles sagen und verraten. Wir waren uns einig, dass sich die Welt jetzt in einem besonders gefährlichen Augenblick befand. Es ging um alles.
    Ab und zu schaute sie sich um, als ob sie eine Explosion befürchtete, hörte mir aber weiter zu, als ob nichts wäre.
    Kuchen gab es keinen. Aber Galina war schon dabei, mir einen Schöpflöffel Marmelade in den Tee zu tun. Das war vielleicht in Russland, wo ich bis dahin nie gewesen war, so üblich. Ich konnte gerade noch »die Kalorien« sagen, doch es war zu spät. Wieder fragte sie mich nach Deutschland und nach dem neuesten Dollarkurs. Wir tranken Tee, aber ich schämte mich noch immer wegen der Angelschnur, die unglücklich im Wasser hing, und wegen meiner unglücklichen Figur, wie ich jetzt dasaß, wie sie mich anschaute, in mich hinein-, mich durchschaute. Sie hat dich

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