Einmal auf der Welt. Und dann so
verstehst du? Es war ein unaussprechliches Wort für Rosa.
Es war völlig ungewiss, ob ich die Mao-Bibel bekommen würde. Die nächstbeste Buchhandlung, die ich betrat, hatte sie nicht, das heißt, ich, gefragt, was ich wünschte, konnte nur »Das Konradsblattl« aus mir herausstottern.
»Du bist immer noch derselbe!«, sagte wenig später Tante Luz zu mir, Tante Luz, ich nannte sie auch nach Jahrzehnten noch Tante, sie war nur Flüchtling in unserem Haus und hat mich damals gefüttert: »gefittert« - sagte sie -, ich vergaß es. »Du hast dich überhaupt nicht verändert!« Dann ging ich weiter, das geliebte Konradsblatt bei mir, auf der Zunge Bibelstellen, Vitamine, die mich weitertrugen. »Wer nicht für mich ist, ist gegen mich« - oder, als ich zu straucheln drohte: »Der Herr ist mein Licht und mein Heil: vor wem also noch Angst!«, sagte ich trotzig und unhörbar vor mich hin. Denn vor mir lag die Aufgabe, in irgendeinem Regal die Mao-Bibel zu entdecken und zu entwenden, denn ich durfte kein Geld für Satan ausgeben, das war mir durch innere Stimmen aufgetragen worden, aber ich musste einen Einblick in die Gewalt des Bösen gewinnen, Rosa.
Es war also in dem mir befohlenen Erlösungswerk so vorgesehen, dass ich erst einmal die Gesetze dieser Welt durchbrechen musste. Die Mao-Bibel! Da entdeckte ich sie, ihn, Satan, schwarz und rot. Ich schob sie in mein Konradsblatt, »Der Herr ist mein Licht und mein Heil!« vor mich hin flüsternd. Mein Glaube machte alles leicht, »aber du hast dich überhaupt nicht verändert!«, wie Tante Luz sagte. Denn ich färbte mich rot, mein Ich einer früheren Auflage färbte sich rot, rot beim geringsten Wind, fein eingestelltes Ich, mit empfindlichsten Reaktionen auf die Welt. Der Kopf füllte sich mit meinem Blut gegen sie. Mein Glaube, aberwitziger Glaube, machte das Krumme gerade, das Schwere leicht. Ich hatte Sätze gegen die Welt bei mir. Aber mein Glaube, ein Glaube, der Berge versetzte, half nichts. Es war ein Glaube, der Berge nicht versetzte, und »als ich später einmal nach Peking kam« (ich reise viel, gab ich Rosa zu verstehen), »konnte ich das Mausoleum, das meinen wiederholt gescheiterten, dann aufgegebenen Heilsplan enthielt, ihn barg, besichtigen. Mao lag in einem Glassarg. Ich hätte weinen können. Dies alles auf dem Platz des Himmlischen Friedens, einen Tag bevor ich zum ersten Mal die Chinesische Mauer bestieg. Mao lag einbalsamiert, ungefähr so wie die heilige Maria Goretti in ihrem Glassarg, die ich auf meiner ersten Wallfahrt gesehen und die mich an Schneewittchen erinnert hatte, und andere, deutlich sichtbare Heilige, deren Namen ich vergessen habe.«
Sagte ich. Erzählte ich. Denn wieder einmal waren die Pferde mit mir durchgegangen, denn der letzte Teil der Geschichte war komplett erfunden und erdichtet. Ich hatte das alles nur geträumt. Wie hätte ich auch noch nach Peking kommen können!
Gewiss, Rosa hatte noch nie eine Weltkarte gesehen, und dachte, durchaus zu Recht, dass dieses China gar nicht so weit entfernt wäre von uns. Trotzdem, sie hätte Verdacht schöpfen können.
Ich log und erfand immer den Menschen zuliebe.
Während Mao im Glassarg lag, war seine Witwe gerade zur Todesstrafe auf Bewährung verurteilt worden, eine Verurteilungsart, die der grausame Osten noch kennt.
Um ihn zu retten - mein Rettungsversuch forderte von mir, dass ich das Gesetz doppelt durchbrach. Immerhin war ich schon fünfzehn und hätte nach den Gesetzen dieser Welt verurteilt werden können: Diebstahl in einem einfachen Fall (der im Grunde höchst kompliziert war). Und dann noch das Entscheidende: Ich hatte gegen den Heiligen Vater verstoßen und war dabei, die Mao-Bibel zu lesen, ein Werk, das auf dem Index stand.
Die Mao-Bibel war, wie schon der Titel sagte, ein böses Gegenstück, ein satanisches Machwerk, das zu meiner Zeit in eine äußerste Konkurrenz mit meinem Wort Gottes trat. In einen Endkampf. Bedrohliche Zahlen waren mir zu Gesicht gekommen. In der Zeitung hatte gestanden, dass die Mao-Bibel die bis dahin führenden Bücher, die Bibel und Onkel Toms Hütte, bald überrundet haben würde.
Ein Kind musste die Welt retten, das Kind war ich. Warum nicht mit einem Paradox beginnen, das »ich« hieß?
Ich war kein richtiges Kind mehr, wollte aber das Kind, das auch schon ich geheißen und ich gesagt hatte, nicht verlassen. Haare waren es, nichts als Haare, die schließlich mein erstes Leben beendeten.
Aber auch Swjetlana Allelujewa, die
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