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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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und Krankenhaus hatte er nur die Erinnerung zweier lange hinkender Beine, zusätzlich zu den anderen, schon vor dem Selbstmordversuch bestehenden Beschwerden des Lebens.
     
    Warum war er hierhergefahren? Das konnte ich mir immer weniger vorstellen. Und Onkel?
    Vielleicht wollte er möglichst weit weg von allem, und es war ein Skandal, der ihn forttrieb, von dem zu Hause so wenig gesprochen wurde, der so sehr oder so lange totgeschwiegen wurde, bis keiner mehr davon wusste.
    Jetzt muss ich mir alles durch den Kopf gehen lassen, das Bild, die Horizonte, Winterreisen, den weiten Weg, die optischen Täuschungen. Die vom Himmel begrenzten Landstriche, das Herauswachsen aus den gierigen Zeiten, aus Hunger und Durst. Der Abriss der Anden. Die Lust flackerte noch in vertrottelten und beinahe zahm gewordenen Leibern. Sie schlich sich erinnerungsweise über die sieben Berge zurück. Dreizentnerschwere Dein-ist-mein-ganzes-Herz-Sänger kamen nicht mehr. Aber sonst kamen alle. Und dann wird eine nackte Frau in die Mitte von Pico Grande gestellt - es kann auch ein Mann sein - und zum Mittelpunkt des Universums erklärt. Zwei Beine, und schon kippt der Mensch um.
     
Nachmittags kam das Postauto aus Cobernador Costa angefahren. Es brachte keine Post
     
    Also legte sie sich ins Krankenbett und wartete, bis sie an der Reihe war. Es war so gekommen: Da konnte man ihren dicken Rauch sehen. Dagegen gab es nur eine lange Nadel, einen Widerhaken und eine Schüssel, die alles auffing.
    Die Kirche hat Fiebermesser geschickt. Doch in ihrer Hütte, einer Verbindung aus Wellblech, Himmel und Rost, gab es nachts kein Licht. Ihre Tage aufschreiben? Schreiben war für sie so viel wie Malen. Hätte ihr irgendjemand gezeigt, wie das geht mit dem Fiebermessen, auch nur eine einzige Nonne, die ihr das gezeigt hätte. - Jetzt ist der Fiebermesser ein Spielzeug für die Kinder.
    Jetzt sticht man ihr in den Bauch wie immer schon. Die Kirche? - Die Kirche, das ist für sie der Lastwagen, der alte Bettdecken und gebrauchte Kleider aus Europa bringt, ein ganz alter Camion aus Richtung Comodoro Rivadavia. Sie ist nur eine Indianerin. Sich taufen lassen für eine alte Bettdecke und den Himmel, das Himmelreich?
    Wieder ein Loch mehr auf der Welt, sagt man in Pico Grande, wenn ein Mädchen geboren wird. Auch sie möchte nicht noch einmal geboren werden und leben, um immer wieder den Bauch gefüllt zu bekommen mit Schmerz und Leben. Sie weiß nicht, wie lange es schon in ihr gegen die Bauchwand ausschlägt, ohne dass sie etwas dazu tut, so selbständig wie ein knurrender Magen.
    Nebenher läuft das Transistorradio. Es ist viel schlimmer, als sie dachte. Sie kann sich an einen ähnlichen Stich nicht erinnern.
    Es ist wie eine Geburt, aber nachher bleibt das Leben aus. Die Hilfsschwester trägt den Kübel zum Abfall. Sie kann noch etwas liegen bleiben. Ob es schlimm war, fragt man sie. Sie bekommt eine Tasse Tee, falls sie will. Auch etwas Kopfweh hat sie noch. Dieser blaugefärbte Rest, dazu konnte man nicht Mensch sagen, konnte man dazu Mensch sagen? Die Höhle war eine Steinhöhle. Und drinnen lagen überall nur Knochen herum.
    Das Krankenhausschwein sah, wie Concetta mit dem Kübel kam und ihn ausschüttete und wieder verschwand.
     
Ich rauchte gerade meine erste Veni-Creator-Spiritus-Zigarette
     
    Es war morgens, in aller Frühe, saß am Küchenfenster, schaute nach Patagonien hinaus, diesseits und jenseits der Grenze. Drüben lag Chile. Ich schaute zum Fenster hinaus und stieß nun wieder auf jenen Unfall auf dem Weg, auf einem meiner Wege auf dem Weg zum Flughafen.
    Ich, der Erste der Entronnenen, stand nun wieder mit den Toten vor mir, mit diesen Zufallstoten ganz allein. Eine blutrote Landschaft, in die mich meine Erinnerung tauchte. Allein neben meinem Beifahrer stand ich neben dem Toten ohne Totenschädel und bei den Schreien, die aus den Wracks drangen. Wir rissen an der Tür mit aller unserer Gewalt. Bald befreiten wir ein schreiendes Kind, zogen es durch diese Tür zurück ins Leben, während in nächster Nähe zwei Stumme saßen: Beiden hatte es die Sprache verschlagen, der einen mit, dem anderen ohne Kopf, den man bald im Straßengraben fand. Ein Familienausflug, hörte ich.
    So etwas hat man schon tausendmal sehen müssen, sagte der zu spät eingetroffene Samariter vom Rettungsdienst. Ich rauchte meine Zigarette und ließ mir sagen, dass der Fahrer gewichst habe.
    Der Schuldige war ein Lastwagenfahrer, der vom Weg abgekommen war, auf die

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