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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Nomaden wussten nichts voneinander. Auch die Sesshaften wussten nichts voneinander, und wie schon! Doch sie teilten ihre Sternbilder, es war ein Glück, das sie trieb.
    Früher war der Boden unter meinen Füßen ein Nomadenboden, ließ ich mir sagen. Jetzt saßen Tagelöhnergestalten vor ihrer Hütte, deren Vorfahren im Tross der Eroberer hierhergekommen waren und ihre Geschichte an den Nagel gehängt hatten. Nachfahren von Existenzen, die an den Rand des damals bekannten Endes der Welt abgedrängt worden waren. Er kroch am Boden. An meine Tiroler zurückdenkend, an meine grauen, lustigen Vorfahren, an meine Nomaden und ihre Sternbilder, den Zulu mit seinem Speer, seinen glücklichen Zähnen von der Jagd zurück, selbst an mich: Ich, auch ich musste mir sagen, dass jeder, der hier ankam, ein verdrängter Mensch war, von den sonnigeren Weideplätzen, vom Licht in der Geschichte, vom ersten Haus am Ort.
    Wie erst ihre Kinder und Kindeskinder. Immerhin, den gröbsten Willen musste einer noch haben, mit dem er am Leben hing, um hier zu sein und zu leben, was dasselbe war.
    Sie wussten nicht einmal mehr, dass sie starben. Sie wussten es, aber es war ihnen egal.
    Draußen muss man sich eine Steilwand von hundert Metern dazudenken. Am Fuß dieser Höhle lag Pico Grande.
    Patricia und Norma lagen in Zimmern für sich, deren Fenster auf das Anwesen von Don Fritz hinüberzeigten. »Alle im heiratsfähigen Alter, doch mit keiner war es weit her«, sagte Fritz, eine schrieb sogar Gedichte. Die Kleine wurde mir als gute Köchin präsentiert. Grazieila könne schon Königsberger Klopse zubereiten (nach dem Rezept von Fritz). Auch wasche sie wunderbar sein Auto an der Lagune.
     
    Als aufrechte Gottheit war vor kurzem das Fernsehen eingezogen, thronte über den vollkommen verstummten Köpfen. Schwieg es einmal, dann wurde es zugedeckt wie zum Schlaf. Den ganzen Tag kamen Bilder aus Paris, aus Parfüm, mitten im Leben, mitten in der Wüste, Filme wie Über den Dächern von Nizza, Der Stadtneurotiker oder Wie angle ich einen Millionär?.
    In unmittelbarer Nähe zu ihrem Leben tauchten da Gesichter auf, die niemals hierhergefunden hätten, Frauen, die sie nie zu Gesicht bekommen hätten mitten in ihrem schäbigen Zimmer, und lächelten auch noch ein steriles Lächeln.
    So stöhnten sie, die Menschen, als wäre ihre Lust nur verdoppelt, nicht gelöscht.
     
    Angesichts der Maul- und Klauenseuche sagte sie: »Bleib! Bleib!«, sagte sie
     
    Zu meiner Zeit stand noch in der Hansestadt Bremen der Roland in der Mitte der Stadt; und in der Mitte des Rolands, etwa auf der Höhe der Lenden, unterhalb von Ave Maria und Requiem, die Gürtelschnalle, jene erstaunliche Gürtelschnalle mit dem singenden, dem musizierenden Engel; und hinter dem Engel, deckungsgleich, im Grund, das Geschlecht Rolands, aller Rolande dieser Welt, sein Gewehr, mein Gewehr, ein für alle Mal, ein Denkmal, zum Zeichen, woher wir rühren, dass wir aus Liebe sind. Mein Gewehr, meine Erbschaft, mein Testament. Ich, ein Kind mit Erbansprüchen, als Kind Karls des Großen mit meinen Erbansprüchen und mit meiner Erblast, mit allem, was mir zustand:
    So musste ich Rosa gegen Ende meines Aufenthalts auch noch eröffnen, woher wir beide kamen. Zumindest versuchen musste ich das.
    Ich hatte die Tabelle bei mir und rechnete.
    Anhand der Tabelle war klar, dass ich ein direkter Nachkomme, ein Kind Karls des Großen war und sein musste.
    Von wegen »alte Ferkelhändlerdynastie« und Schwackenreute - nur der Name stimmte - halbwegs.
     
    Das konnte ich mit Gewissheit an Rosa, die meine Einsicht ja ebenso betraf, weitergeben. Ich sagte es ihr, fügte freilich gleich mein »Halte mich nicht für verrückt!« hinzu. Ich fing ganz von vorne an: mit meinen Eltern, zwei Eltern, mit meinem Friedhof, Friedhof Unserem, seinen vier Großeltern und, an selber Stelle acht Ur-Groß - immer noch, immer wieder: Eltern.
    »Was hast du?«, fragte sie, denn ich war mit einem Mal verstummt. Was ich habe? Nichts. Meine Entdeckung, dass mir die Krone gehörte, die Krone des Heiligen Römischen Reiches, mir, und nicht der Wiener Schatzkammer, dass ich ein Recht darauf hatte, diese Krone zu tragen, wann immer ich wollte, oder sie zu verschenken, ganz wie ich wollte, mit meiner Krone umzugehen, ohne verrückt sein zu müssen, oder auch auf die Krone zu scheißen, und abzudanken, wann immer ich wollte. Wie sollte ich das Rosa erklären? Selbst auf die Grabkammern und ihren Inhalt hatte ich ein Recht. Ein

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