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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Schließlich waren wir auf dem Friedhof, der sich neben der Höhle zu unserem Treffpunkt gemausert hatte, und irgendwann mussten wir doch zurückkehren, das Essen wartete - und mein Leben lag mit der Schwere seines Schattens über mir.
    Ich war eigentlich die ganze Zeit nur dabei gewesen, ihr und uns zu erzählen, woher wir kamen, ein Versuch. Was mit uns war, weiß ich bis heute nicht.
    Mein Schmerz, ein Schmerz, der ein Schatten ist.
    Dir zuliebe muss ich mich erinnern.
    Erst einmal musste ich ihr Karl den Großen erklären. Erst einmal den Hosenstall zurechtgerückt und weiter in der Geschichte: Der Fall Pyrrhus lag ähnlich, erklärte ich. Erst die Nebenbuhler ausgebootet, dann per Elefant in den Sieg, ein Pyrrhussieg, die Arme der Frauen, die Nachkommen, sieh mich an!
    Karl der Große, sein Harem, seine Frauen Gisela, Gislinde, Berengaria und wie sie alle hießen, seine (durch Barbarossa erzwungene) Heiligsprechung ...
    Aber ich hätte auch mit Pyrrhus dem Großen anfangen können. Was wusste ich von Pyrrhus, außer, dass ich von ihm abstammte, in gerader Linie?
    Karl der Große - ein Augenzwinkern, und schon hatte Rosa alles verstanden. Deine Urgroßmutter hatte sechzehn Kinder, von denen allein drei nach dem seligen oder heiligen Laurentius von Schnüffis getauft worden waren. Erst der dritte Laurentius überlebte, um dein Urgroßvater zu werden, sagte ich mir. Sechzehn Kinder! Ich sagte Rosa, dass man heute schon vier Nachkömmlinge ungestraft als Wurf bezeichnen dürfe.
    Sogar mit H. bist du verwandt, wenn auch nur weitschichtig. Es hatte keinen Zweck, ihr auch noch diesen Namen auseinanderzulegen. Nicht einmal den Namen des Weltberühmten hatte sie gehört. Jetzt erfuhr sie von mir, dass sie mit ihm auch noch verwandt war. In einer Minute erklärte ich ihr, was Philosophie heißt, und auch die genealogische Beziehung, welche von einer gemeinsamen Mutterfigur herrührte, Lina Muffler aus Schwackenreute, die 1811 gestorben ist, du, ich und dieser Mensch können uns auf diese gemeinsame Tote zurückführen.
    Hatte es einen Sinn, sie in all dies hineinzuziehen?
     
    Es hätte schon genügt, Rosa klarzumachen, dass bei einem derart beschränkten Teilnehmerkreis von etwa 1000 im Zehn-Kilometer-Radius um Schwackenreute angesiedelten geschlechtsreifen und an diesem Verkehr teilnehmenden, nie in die Welt gekommenen, immer noch: Menschen, jeder von jedem abstammt, wie man vereinfachend sagt. Trotz der allgemein betriebenen Unzucht und Inzucht, die immer wieder zum Ausfall von Vormüttern führten, welche immer wieder in sich selbst zusammenfielen und den prächtigen Stammbaum schrumpfen ließen, war es selbstverständlich, gebot schon der Verstand, dass wir miteinander verwandt waren, auch wenn wir dies gar nicht aus den Akten wussten.
    Zwei Eltern, vier Großeltern, acht Urgroßeltern, 16 Ururgroßeltern, 32 Urururgroßeltern: Im Jahr von Linas Geburt hattest du schon 256 Mütter und 256 Väter, immer gleich viel Mütter wie Väter. Noch eine Null dran, und du kannst sagen, dass du von allen abstammst, herrührst, weiterdämmerst: Väter-Mütter, Väter-Mütter, Väter-Mütter ...
    Ich habe jene Schweizer Tante nie gesehen. Rosa hat sie auch nie gesehen. Ihre Urgroßmutter war lange tot. Wir saßen ganz für uns, die Genealogie ausgefallen, bis auf zwei, drei noch lebende Vorfahren war alles tot. Alles tot, wir nur Reste am Ende einer nicht abreißenden Linie, die fast komplett dem Totenreich angehörte. Wir, fast ausgebrannt, wir, an der Stelle des Glimmens eines Fadens. Nur ich und du leben, sind am Leben, leben noch. Die anderen sind im Universum, in uns, alle tot, nur ich und du und unsere Erinnerung, Müllers Kuh ...
     
    Wir hätten zum Mittagessen zurückgehen müssen, aber ich war auf Müllers Kuh gestoßen, hing an ihrem Seil mit allen, blutsverwandt. Abraham a Sancta Clara, noch ein Name, der spanisch klang. Die gemeinsame Mutter um 1650 aus einer Zahl von bis dahin 4096 Müttern. Er teilt mit seinen an der Pest gestorbenen Brüdern eine Gruft. Zu Fuß nach Wien ... unbeschuhte Augustiner-Eremiten. Ich bet' für dich! Behüt' dich Gott aus Kreenheinstetten. Unbeschuht, barfüßig, ab nach Wien. Ein Leben auf der Kanzel, dann die Gruft der Unbeschuhten Augustiner, Pater Abraham, eingekalkt, 1709 ein Pestjahr, Maul- und Klauenseuche, sage ich zu Rosa, damit sie mich versteht.
    Zur Zeit der Entdeckung Amerikas hattest du 128000 Väter und ebenso viele Mütter, einige davon wurden als Hexen verbrannt. Die

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