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Einmal durch die Hölle und zurück

Einmal durch die Hölle und zurück

Titel: Einmal durch die Hölle und zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josh Bazell
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Jäger kein Verständnis hätte. Sie versteht das Bedürfnis der Leute, so zu tun, als könnte die Welt sie immer noch mit unendlich vielen ressourcenintensiven Tieren versorgen, die man aus einer bescheuerten Wut heraus reihenweise abknallen kann, genauso wie sie das Bedürfnis der Leute versteht, den Bürgerkrieg nachzuspielen, damit sie so tun können, als wäre er anders ausgegangen. Das Problem ist, dass sich diese beiden Gruppen so oft überlappen. So dass man irgendwann bei Sarah Palin anlangt, in einem Hubschrauber, der einen Wolf bis zur Erschöpfung jagt, damit sie das Tier erschießen kann, während es hechelnd im Schnee liegt. Oder bei Dick Cheney, der auf der Ranch eines Lobbyisten seinem Freund ins Gesicht schießt.
    Violet ist sich ziemlich sicher, dass sie, ein ganzes Stück von Debbie’s Diner entfernt, in der Rogers Avenue eine Bar gesehen hat. McQuillen hat jedenfalls eine erwähnt. Und sie ist sich auch ziemlich sicher, dass sie einen direkteren Weg findet als die Strecke, auf der Azimuth hergefahren ist. Eine Abkürzung, mit der sie sich gleichzeitig von dem Restaurant fernhält. Kein Grund, nicht zu Fuß zu gehen.
    Sie schreibt Azimuth auf dem vergilbten Rezeptblock am Empfang eine Nachricht, die sie unter die Wagenschlüssel legt. Schaltet die Schreibtischlampe ein und löscht das Deckenlicht, damit er den Zettel nicht übersieht.
     
    Draußen ist es schon dunkel, über dem See hängt der Sichelmond, doch landeinwärts ist bis auf vereinzelte Straßenlaternen fast alles pechschwarz. Die Kälte und der Geruch des Holzrauches erinnern sie an Halloween in Lawrence. Sie kann ihren Atem sehen.
    Sie schätzt, dass es etwa fünfzig Grad Fahrenheit sind. Das Fahrenheit-Problem geht ihr auf die Nerven. Es wird Violet nie gelingen, Temperaturen unwillkürlich in Celsius einzuschätzen. Damit ist sie nicht aufgewachsen. Und wenn man ohne das Dezimalsystem aufwächst, ist es, als wäre man mit einem Gewicht auf dem Hirn zur Welt gekommen.
    Im Dezimalsystem füllt ein Milliliter Wasser einen Kubikzentimeter Raum aus, wiegt ein Gramm und benötigt eine Kalorie Energie, um sich um ein Grad Celsius zu erwärmen – was ein Prozent der Differenz zwischen seinem Gefrier- und seinem Siedepunkt darstellt. Ein Gramm Wasserstoff enthält genau ein Mol Atome.
    Im amerikanischen System hingegen lautet die Antwort auf die Frage »Wie viel Energie ist nötig, um eine Gallone zimmerwarmes Wasser zum Kochen zu bringen?« »Du kannst mich mal«, weil man keine dieser Größen direkt aufeinander beziehen kann.
    Violet kann zwar noch das Zifferblatt ihrer Uhr erkennen, gelangt aber zu dem Schluss, dass sie die exakte Temperatur anhand der Grillengeräusche berechnen sollte. Denn die dazugehörige Gleichung folgt – wie die meisten Gleichungen, die sie kennt – dem Dezimalsystem.
    Den Grillen zufolge sind es draußen zehn Grad Celsius. Das sind umgerechnet fünfzig Grad Fahrenheit.
    Sie verlässt die Veranda. Was auch immer sie dort draußen erwartet, es ist besser, als über diesen Unsinn nachzudenken.
     
    Aber es ist zugleich ziemlich unheimlich.
    Hinter dem drei Blocks langen Nobelviertel nimmt die Anzahl der Straßenlaternen rapide ab. In den meisten Häusern brennt auch kein Licht, und da, wo Licht brennt, sind die Fenster oft aus keinem ersichtlichen Grund mit Papier abgedeckt. Die seltenen Boote in den Einfahrten sind mit Hilfe von Ketten und blauen Planen mumifiziert, die Ketten an Betonblöcken befestigt. Überall, wo sie vorbeikommt, prangt ein Schild mit der Aufschrift » ZU VERKAUFEN «.
    Eine Weile hört sie diesen »Blue da ba de da«-Song aus einem der Häuser, aber als sie an der Haustür vorbeikommt, ist alles dunkel. Ein paar Blocks weiter stößt sie auf einige im Kreis stehende Leute, die auf der Straße rauchen und sich murmelnd unterhalten, und im ersten Moment hält sie die rote Glut ihrer Zigaretten für Lichter am Horizont.
    Kein Grund, warum sie
nicht
mitten auf der Straße stehen sollten. Es gibt hier keine Gehsteige, nur kiesknirschende Randstreifen, und Violet hat immer noch kein Auto gesehen.
    Trotzdem umkreist sie die Raucher, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen, halb darauf gefasst, dass sie die Gesichter in die Luft strecken und nach ihr schnuppern.
     
    Die Bar liegt vier Straßen hinter Debbie’s Diner. Sie heißt Sherry’s – was die Frage aufwirft, ob am Ende nicht eine Frau namens Sherry mit einer Axt hinter ihr herkommen wird. Sie beschließt, das Risiko einzugehen.
    Das

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